Ride – Weather Diaries
Haben Ride die letzte 20 Jahre damit verbracht, autobiographisches mit dem Wetterbericht zu verknüpfen? Dies legt der Titel der ersten Platte seit zwei Dekaden WEATHER DIARIES nahe. Sind die Shoegazerhelden jetzt zu Meteorologieliebhabern geworden und überhaupt, was hat Ride 2017 mit Ride 1995 zu tun….?
Der Zeitpunkt für WEATHER DIARIES scheint zumindest erstmal gut gewählt. Shoegaze oder der verwandte Dream – Pop erleben seit zwei Jahren eine neue Blüte, vielleicht nicht mehr mit den Gitarrenwände mit denen sich einst Ride sich auf NOWHERE und GOING BLANK AGAIN unsterblich machten, aber von der Introvertierheit und der Weite der Arrangements stehen die neueren Vertreter des Genres den Meistern aus England in nichts nach. Das existierende Interesse an ihrer Musik erlebten Ride auf ihren Reunion Touren 2014 / 2015 in UK und den USA, die nicht nur ausverkauft waren, sondern der Band auch ins Bewusstsein brachten, dass das Genre – so tot es auch in Großbritannien war – im US Underground neue und ganz eigene Blüten trug.
“The tour made us realise there was a future…” (Andy Bell)
Zeitgleich erlebte die Band bei den Proben zur Tour, dass eine gewisse Chemie immer noch vorhanden war, die automatisch und ohne großes Planen zu neuen Ideen und Songs führte. Diese Lust auf etwas Neues merkt man WEATHER DIARIES auch deutlich an. Es handelt sich nicht um einen einfachen Wiederaufguss alter Songs, die Platte nicht in ein selbstzufriedenes Selbstzitieren, sondern entwickelt vielmehr den vertrauten Sound weiter. Die Ride Zutaten, wie ausufernde Soundlandschaften und epische Gitarrenwände, finden sich zwar in fast allen Songs, treten jedoch meist in die zweite Reihe, beziehungsweise dienen als Hintergrundrauschen für elektronische Elemente, die die Band nicht einfach rein wirft, um modern zu klingen, sondern die die alten Strukturen gekonnt ergänzen wie in dem epischen Titelstück „Weather Diaries“ oder dem schon progmässigen „Rocket Silver Symphonie“. Dazu gesellen sich Stücke wie der Opener „Lannoy Point“ oder das luftig, leichte Sommerstück „Cali“, die einen so frischen Vibe verbreiten, als handele es sich um eine Newcomerband, die gerade erst dem Proberaumkeller entstiegen ist. Die Schwachpunkte finden sich eher im ersten Drittel, wo die Band recht konventionell, leicht Sixties angehaucht wie eine x-beliebige Britpopkapelle klingt. Ab der Hälfte regiert dann die Epik und damit regieren Ride! Mit Weather Diaries schwimmen Ride im Comeback der großen Shoegazer wie Slowdive und My Bloody Valentine mit und beweisen sich selber, dass es eine Zukunft für sie gibt.
VÖ: 16.Juni 2017, Wichita, https://www.thebandride.com/
Ohr d’Oeuvre: Lannoy Point/ Weather Diearies/ Cali
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Lannoy Point/ Charm Assault/ All I Want/ Home is a feeling/ Weather Diaires/ Rocket Silver Symphoney/ Lateral Alice/ Cali/ Integration Tape/ Impermanence/ White Sands
(pd)
Sufjan Stevens, Bryce Dessner, James MacAlister, Nico Muhly – Planetarium
PLANETARIUM ist der Titel des neuen Werkes von Sufjan Stevens und dreier ambitionierter Mitstreiter, unter anderem dem The National-Gitarristen Bryce Dessner, dem – klassischen – Komponisten Nico Muhly und James McAlister, der sowohl in Stevens Band hinter dem Schlagzeug sitzt, als auch als Produzent agiert. Eine Besetzung, die eine große Bandbreite musikalischer Zutaten verspricht.
Die Bandbreite und -tiefe der Songs macht klar, dass sich alle vier Künstler mit ihren Talenten und ihren verschiedenen Backgrounds gleichberechtigt einbringen. So meint man hier und da die Stammbands herauszuhören. Dazu steuert Muhly Streicher- und Bläserarrangements zu den Stücken bei, die Indiepop- und Elektroelemente ergänzen. Die Folge sind facettenreiche Songs, die durch sequenzerverzerrten Stimmen, die in der letzten Zeit immer häufiger in dem Umfeld der 4AD-Künstler genutzt werden, im Zusammenspiel mit den genannten Bläsern und Streichern einen gewissen Pathos entwickeln. Wie gesagt, die Ambitionen und die ganze Erfahrung der beteiligten Musiker schimmert durch die Songs durch, ab und zu wirkt es allerdings zu überambitioniert, als wollten die Künstler zu viel, als verlören sie ein wenig den Faden in der Vielzahl der Möglichkeiten. Trotzdem fasziniert die Platte in ihrer gesamten Bandbreite und es macht Sinn, das Werk in Gänze zu hören, um die ganze Eigendynamik der 16 Stücke, die Vielfalt zwischen den Elementen Elektropop, Folk, Klassik und Indierock-Pop genießen zu können.
Auf dem Album befinden sich ungemein starke Stücke wie z.B. „Neptune“ und „Jupiter“, die das Album eröffnen. Bei den beiden Stücken werden elektronische Beats stimmig eingebunden und die Streicher perfekt in die Indiesongs eingebettet. Diese beiden Stücke wirken sehr rund, lassen den Hörer Großes erhoffen und zeigen, zu was die vier in der Lage sind.
Im weiteren Verlauf von PLANTETARIUM wirken einige Stücke weniger homogen und im Ansatz überfrachtet. Hier stehen sich Stevens, Desseer, Muhly und McAlister mit ihren Ambitionen vielleicht selbst ein wenig im Wege. Das pointierte Songwriting kommt bei diesen Stücken weniger zum Tragen und sie wirken nicht abgeschlossen. Der 15-Minuten-Epos „Earth“ stellt aber uneingeschränkt ein Highlight dieses Albums dar, weil in dem Stück die Facetten und die Vielfalt der Erde musikalisch wiedergegeben werden und die Bandbreite von Indie, Elektro und Klassik vollends abgedeckt wird.
Von einem abschließenden Fazit wird abgesehen, da die Musiker auf der weitreichenden stilistischen Basis mit PLANETARIUM ein Album veröffentlicht haben, was einerseits nicht so zu erwarten war und dessen Wirkung vielleicht erst in einiger Zeit klar wird. Zum heutigen Zeitpunkt bewegt es sich im Spannungsbogen zwischen punktueller Überfrachtung des Hörers und wunderbar perfekten Musikmomenten.
VÖ: 09.06.2017, 4AD, http://www.planetariumalbum.com/
Ohr d’Oeuvre: Neptune/ Jupiter/ Earth
Gesamteindruck: Keine Wertung
Tracklist: Neptune/ Jupiter/ Halley´s Comet/ Venus/ Uranus/ Mars/ Black Energy/ Sun/ Tides/ Moon/ Pluto/ Kuiper Belt/ Black Hole/ Saturn/ In the Beginning/ Earth/ Mercury
(kof)