Im wunderschönen Rheingau unweit von Wiesbaden ist es Gisbert zu Knyphausen gelungen, in den letzten Jahren eine der intimsten und charmantesten Open-Air-Konzertveranstaltungen des Landes zu etablieren.
Die Lokalität: Der Draiser Hof. Das Anwesen wird von der Familie zu Knyphausen in der 8. Generation als Weingut bewirtschaftet, auf dem auch Gisbert und seine Brüder aufgewachsen sind und teilweise heute noch leben. Diesem erstklassigen Rahmen entsprechend hat die Familie zu Knyphausen mit The Notwist, Element of Crime, Volker Bertelmann a.k.a. Hauschka, Gisbert zu Knyphausen, Luísa, Dino Joubert, Locas in Love, Torpus and the art Directors wie auch AnnenMayKantereit (diese wurden kurzfristig für die verhinderte Judith Holofernes organisiert) ein exquisites Line-Up eingeladen.
Tag 1 – Freitag
Nach der Anreise im erstaunlich ruhigen Freitagsverkehr wird der Draiser Hof rechtzeitig erreicht. Es besteht noch die Möglichkeit, mit dem Bulli einen Platz auf dem Park-/Campingareal zu finden, und die Einlasskontrolle ist ebenso entspannt wie die Atmosphäre vor Ort. Der Besucher erhält die Wertmarke für das Trinkgefäß der heimischen Winzerprodukte und kann sich Dank selbigem auch immer wieder daran erinnern, welche Künstler das Programm gestalten. Der Hof und das dazu gehörige Anwesen erinnern eher an einen Traum mit zugehörigem Himmelsschloss als an ein Gelände, wo sich in den kommenden 3 Tagen die Creme de la Creme der deutschen Indieszene die Klinke in die Hand gibt. Unmittelbar nach der Ankunft eröffnen – nach der Begrüßung der Von Knyphausens – Dino Joubert mit einem sehr rockig-poppigem Set das Heimspiel. Sie sind ein würdiger Opener, wissen zu gefallen und bilden den Anfangspunkt des Spannungsbogens für diesen Abend. Die Rieslinge des Anwesens ergänzen das musikalische Kulturprogramm aufs Beste.
Nach kurzer Umbaupause wartet schon der erste Höhepunkt des 2017er Festivals – der Oscar nominierte – Hauschka gibt ein Set zum Besten, was auf seinem diesjährigem Werk WHAT IF basiert. Hauschka unterstreicht auf der Bühne den Eindruck, den er durch seine Studiostücke hinterlässt. Diejenigen, die intensiv zuhören, konzentrieren sich auf sein Set, erkennen die Feinheiten in den Arrangements und erfreuen sich an den wunderbaren Verspieltheiten durch die Modifikationen an seinem Flügel. Es überrascht, welchen Raum er beim beginnenden Sonnenuntergang einnimmt. Darüber hinaus gelingt es ihm ebenso, die Zuhörer in den Bann zu ziehen, denen er zuvor unbekannt war. Sein Auftritt wird definitiv in Erinnerung bleiben. Den Abschluss des Abends gestalten Element of Crime. Der hier Schreibende muss zugestehen, dass er die von vielen Menschen als absolute Helden angesehenen Berliner einige Male gesehen hat. Die Konzerte waren immer handwerklich sehr gut gemacht, konnten ihn jedoch nicht vollends überzeugen. Aber die Prämisse „Neues Spiel – neues Glück“ zählt auch hier. Und – das sei vorweggenommen – das kritische Bild wurde von Sven Regener und Band revidiert. Sie spielen ein wunderbares Set von über 2 Stunden Dauer, geben mehrere Zugaben und überzeugen sowohl Publikum als auch den hier Schreibenden auf ganzer Linie. Die Band ist perfekt aufeinander eingespielt, der Sound wird von den Tonleuten hervorragend herausgestellt und die Band fügt sich in die Atmosphäre des Abends vollends ein. Sie spielen die Klassiker der alten Alben, um nur WEIßES PAPIER zu nennen, lassen die neuen Stücke nicht zu kurz kommen und geben auch einen Song zum Besten, der zuvor noch nie live gespielt wurde. Die Rhythmus-Fraktion bildet die Grundlage für die Stücke und Regener überzeugt in seinem Gesang, ist gerührt von der Stimmung auf dem Weingut vor der Bühne und lässt durchaus in seinen Ansagen etwas Lehmanneskes erkennen. Die Vorfreude auf das nächste Konzert der Band ist schon jetzt vorhanden. Der Abend wird nach den letzten Tönen noch freudig mit einigen Rieslingen verabschiedet.
Der zweite Tag: Samstag
Dank des brav getrunkenen Wassers zum erwähnten Wein gibt es keinen Kater und das Rheingau wird bei einem kleinen Ausflug erkundet, bevor auf dem Draiser Hof der zweite Tag beginnt. Die letzten Töne von Lúìsa werden noch mitgenommen, ohne sich jedoch eine abschließende Meinung zu bilden. Die erste Band, die bewusst gesehen und gehört wird, sind die Kölner Locas in Love. Mit ihre rockig-noisigen Songs scheinen sie im ersten Moment etwas deplatziert in diesem Rahmen. Dies ist aber ein Fehlschluss. Trotz ihrer zum Teil sehr sperrigen Stücke, die kantig und sehr wuchtig wirken, überzeugen sie das Publikum. Durch poppige Stücke bauen Locas in Love für die Zuhörer Brücken und geben Ihnen die Möglichkeit, die gesamte Bandbreite des musikalischen Schaffens kennen- und lieben zu lernen. Nach einer guten Stunde beenden sie ihren Auftritt und werden gebührend verabschiedet.
Im Anschluss an die Umbaupause betritt der Hausherr mit seiner Gitarre die Bühne und wird von seinem Bruder angekündigt. Die Zweifel, ob Gisbert zu Knyphausen es schafft, ohne Band das Publikum zu überzeugen, sind mehr als unberechtigt. Nach einer gewissen Anspannung, die zu Beginn zu verspüren ist, wächst er immer mehr und mehr auf der Bühne, um diese – auch fast ohne Begleitung – einzunehmen und auszufüllen. Er wird bei einigen Stücken von einem Schlagwerkspieler unterstützt, der ihn wohl neben einer Band auf der Clubtour im Herbst begleiten wird. Durch das alleinige Vortragen mit der Gitarre zeugen die Stücke von einer Stärke und Schönheit, die bei den Auftritten mit der Band nicht so zum Vorschein kommen. Auch der Gesang von Knyphausens unterstützt die Wirkung der Songs, von denen neben „Flugangst“, „Neues Jahr“ und das großartig vorgetragene „Das Leichteste der Welt“ von Kid Kopphausen in Erinnerung bleiben. Nach einer kurzen Zugabe und sehr erfreuter Verabschiedung wird auf der Bühne gewerkelt.
Die Umbaupause nimmt Zeit in Anspruch, um die Bühne für die Weilheimer Helden von The Notwist zu präparieren. Diese wirken – laut der Aussage von Markus Archer – einerseits irritiert mit ihrer Musik beim Heimspiel spielen zu dürfen, möchten aber andererseits auch diejenigen überzeugen, die ihre Songs wenig bis gar nicht kennen. Mit dieser Ankündigung versprechen sie nicht zu wenig – sie spielen ein Set aus einem Guss, obschon es Stücke aus allen Schaffensperioden der Band enthält. Neben „One dark love poem“ vom Album NOOK über die Songs der beiden Klassiker-Alben SHRINK wie auch NEON GOLDEN bis zu „Run Run Run“ von CLOSE TO THE GLASS decken sie jedwede Bandphase ab. Wie bei allen Shows sind sie brillant aufeinander eingespielt und wirken in dem Zusammenwirken sehr homogen. Der Mischer sorgt dafür, dass an allen Stellen vor der Bühne der sehr facettenreiche Sound zu hören ist und auch Feinheiten in den Arrangements und Samples gehen nicht unter. Die Lichtshow steuert das Ihrige bei, nachdem die Sonne untergegangen ist. Dieser Auftritt toppt den Auftritt im letzten Dezember im Zakk problemlos. Notwist sind damit ein würdiger Abschluss des Festivalssamstages und des Heimspiel Knyphausen 2017.
Dieses Festival auf dem Gelände des Draiser Hofs ist vollends zu empfehlen – nicht nur wegen der besonderen Location und der ausgefallenen Atmosphäre, sondern auch gerade weil hier in den letzten Jahren immer ein mit viel Liebe zusammengestelltes Line-Up präsentiert wurde.
Der dritte Tag: Sonntag
Naja, wir sind auch schon älter…