Die erste Überraschung ereilt uns direkt bei der Ankunft am nördlichen Niederrhein. In Haldern ist es tatsächlich trocken und es sieht sogar so aus, als wäre dies schon längere Zeit der Fall. Während Köln bei Abfahrt abzusaufen drohte, war nicht sicher, ob die kurzfristig gekaufte neue Regenjacke am folgenden Wochenende zum Einsatz kommen würde. So viel vorweg: noch am selben Tag wird man von der besten Investition seit Langem sprechen.
Die musikalische Eröffnung des Festivals stellen für uns Nothing aus Philadelphia dar. Live wirkt ihr Shoegaze bedeutend gitarrenlastiger und druckvoller als auf Platte. Sieht man die Jungs auf der Bühne agieren, wundert man sich nicht, dass die Wurzeln der Band eher im Hardcore zu finden sind. Wie da die Gitarren bearbeitet werden, kommt beim Publikum an. Einzig die Ansagen wirken oft typisch amerikanisch oberflächlich.
Beim anschließenden Erkundungsrundgang auf dem Gelände fallen dann einige Neuerungen ins Auge. Zunächst fällt auf, dass der Biergarten von einer gigantischen Stromtrasse gekreuzt wird. Gerade im Dunkeln wirkt der gigantische Strommast, der hinter dem Biergarten im Maisfeld steht, wie einer der „Dreibeinigen Herrscher“ aus der gleichnamigen 80er Jahre Science-Fiction Serie. Der Trasse zum Opfer sind anscheinend nicht wenige Bäume gefallen. Man kann vom Biergarten nahezu direkt auf die Hauptbühne blicken. Dies nimmt dem alten Reitplatz etwas von seiner Kompaktheit. Neuerungen, die wahrscheinlich unumgänglich waren, für Haldern-Veteranen zunächst aber gewöhnungsbedürftig sind. Auch auf dem alten Reitplatz selbst hat sich gerade im hinteren Bereich – dort, wo sich in den Jahren zuvor der Pressebereich befand – einiges verändert. Statt des Pressezelts hat das kleine wundervolle Schwesterfestival Kaltern Pop einen eigenen Bereich, in dem Südtiroler Wein und kulinarische Spezialitäten aus der Region rund um den Kalterer See angeboten werden. Neben dem „Kaltern Zelt“ werden in einer Art Tipi Vortragsrunden, Diskussionen und kleine Konzerte abgehalten, die durchweg begeistert vom Publikum aufgenommen werden und eine gelungene Abwechslung vom bekannten Festivalgeschehen bieten.
Von Wegen Lisbeth eröffnen am Donnerstag die Hauptbühne des 34. Haldern Pop Festivals. Durch Tourneen mit u.a. AnnenMayKantereit haben sich die Berliner einen recht hohen Bekanntheitsgrad erspielt, was gerade bei der stattlichen Anzahl weiblichen Publikums vor der Bühne sichtbar wird. Thematisch geht es in den Songs von Von Wegen Lisbeth dann auch eher um Dinge, die einen Großteil des Publikums vor vielen Jahren betroffen hat. Der weibliche Teil der Generation Instagram hat sichtlich Spaß am Auftritt und der männliche Teil, dem eine vermeintliche Festivalromanze mit einem der Instagram-Mädchen vorschwebt, gibt sich sichtlich Mühe, durch einen nachhaltigen Eindruck das Herz und die Handynummer der Angebeteten zu bekommen.
Im Anschluss an VWL zeigen Get Well Soon auf der Hauptbühne, dass sie inzwischen zur Speerspitze des hiesigen Indie Pop gehören. Konstantin Gropper führt souverän, mit nicht ganz so theatralischem Gestus wie in der Vergangenheit, durch die dreiviertelstündige Show. Man merkt dem Konzert an, dass die Band bereits seit zwei Jahren auf LOVE Tour ist. Wirkte die Show vor anderthalb Jahren auf dem Orange Blossom Festival noch etwas hölzern, weiß die Band auf dem diesjährigen Haldern auf ganzer Linie zu überzeugen – auch wenn der Wunsch „I Sold My Hands for Food So Please Feed Me“ im Kontext eines Festivals mal live zu hören, wieder nicht in Erfüllung geht.
Bei den folgenden A Blaze of Feather ist die meistgehörte Frage auf dem alten Reitplatz die, ob Ben Howard denn nun dabei ist oder nicht. Auch wir können die Frage während des Konzertes nicht abschließend klären, was wir jedoch mit Sicherheit sagen können ist, dass bei diesem Projekt erfahrene Musiker am Werk sind. Die Show wirkt für ein Bandprojekt sehr routiniert, die Songs wissen jedoch leider nicht wirklich zu zünden. So bleibt nur obige Frage und der einsetzende Regen vom Auftritt von A Blaze of Feather im Gedächtnis.
Mit dem anschließenden Gang ins Spiegelzelt schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Man entgeht dem inzwischen gefürchteten niederrheinischen Landregen und – viel wichtiger – man wird Zeuge eines der besten Konzerte am Donnerstag. Die jüngste Band des Tages stiehlt den etablierten ein wenig die Show. Macht man die Augen während des Konzertes der Giant Rooks aus Hamm in Westfalen zu, könnte man meinen, man hat es mit einer erfahrenen Headliner Band großer Festivals zu tun. Die Jungspunde sind derart perfekt aufeinander eingespielt und haben offensichtlich große Lust, das Zelt in einen riesigen Tanzpalast zu verwandeln. Am Ende des Konzerts droht eine kleine diplomatische Krise mit den niederländischen Freunden neben uns, die glauben, wir würden sie verarschen, als wir ihnen erzählen, dass das Durchschnittsalter der Band unter 20 Jahren liegt. Nachdem diese Krise mit Hilfe eines Kaltgetränkes geklärt wurde, tanzt man zusammen zur Zugabe dieses fantastischen Konzerts.
Nach seinen großartigen Shows in Köln ist die Freude besonders groß, Faber am Freitagmittag auf der Hauptbühne des Lieblingsfestivals zu sehen. Bereits vorab ist man sich sicher, dass spätestens diese Show der Durchbruch des Schweizers bedeuten würde. Ob sich dieser Eindruck bestätigt hat, ist im Nachgang schwer zu sagen, da die ca. 150 Meter lange Schlange am Einlass ein pünktliches Erscheinen unmöglich macht. Dass, was man schlussendlich noch vom Konzert mitbekommt, unterstreicht jedoch den Eindruck, dass wir es bei Faber mit einem Künstler zu tun haben, von dem wir in den nächsten Jahren noch viel hören werden. Der junge Schweizer hat hervorragende Songs, eine unglaublich gute Band im Rücken und vor allem wirkt er auf der Bühne derart grundsympathisch, dass man gar nicht anders kann, als ihn in den Arm nehmen zu wollen. Die Begeisterung beim Publikum ist so groß, dass Faber – als einem der wenigen – die Ehre zu Teil wird, bereits am frühen Freitagmittag eine Zugabe auf der Hauptbühne geben zu dürfen. Das Publikum steht im Anschluss Kopf und der junge Züricher verlässt sichtlich gerührt die große Bühne.
Nach Faber hat es Johannes Sigmond aka Blaudzun aus den nahen Niederlanden zunächst schwer, die Euphorie auf dem alten Reitplatz aufrechtzuhalten. Man merkt der Band jedoch schnell an, dass sie in ihrem Heimatland schon die ganz großen Festivalbühnen bespielt haben. Sehr souverän steigern sie sich und haben spätestens zur Hälfte ihres Gigs das Publikum auf ihrer Seite. Musikalisch erinnert das Ganze an Arcade Fire, als diese noch nicht den Pop für sich entdeckt haben. Alles in allem eine sehr solide Show auf einem etwas undankbaren Slot zwischen aufstrebendem Newcomer und dem heimlichen Headliner des Festivals.
Dass es sich bei AnnenMayKantereit um den heimlichen Headliner des 34. Haldern Pop Festivals handelt, wurde bereits zum Ende des Blaudzun-Auftritts deutlich. Der alte Reitplatz füllte sich zusehends, so dass man zum Beginn des Konzertes der Kölner den wohl vollsten Festivalplatz der 34-jährigen Haldern Geschichte bestaunen durfte. Der anschließende Auftritt der Jungs kann die hohen Erwartungen dann aber leider nicht erfüllen. Klar, Henning May’s Stimme ist außergewöhnlich, das reicht jedoch nicht, bei einem 75-minütigen Auftritt die Spannung zu halten. Was der Band fehlt, das wird auch an diesem herbstlichen Freitagabend in Haldern deutlich, sind gute Songs. Da wird von Altbauwohnungen gesungen, von nicht erwiderter Liebe oder vom gemeinsamen Aufwachen in eben jenen Zwei-Zimmer-Altbauwohnungen. Themen, die Studentinnen im ersten Semester mitten ins Herz treffen, aber bereits im zweiten Semester ob ihrer Banalität zu Tode langweilen. Die Instrumentierung der Songs ist spärlich und die Reime schütteln sich derart, dass das liebgewonnene Spiel, man trinke immer einen Schnaps, wenn man den Reim vorab erkennt, einem Selbstmordversuch gleichkäme. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Die vier jungen Kölner sind bestimmt gute Jungs, die ihre Öffentlichkeit das ein oder andere Mal nutzen, um auf gesellschaftlich wichtige Missstände hinzuweisen. Es ist jedoch zu befürchten, dass das nicht reicht, um langfristig auf der momentanen Erfolgswelle zu reiten. Den Abschluss der etwas ernüchternden Show stellt ein Cover von Amy Winehouse dar – wohlgemerkt einer Künstlerin, die man aufgrund ihrer Genialität eigentlich nicht covern sollte – über das es bei den meisten Anwesenden keine zwei Meinungen geben dürfte.
Die Hoffnung, bei frühzeitigem Verlassen des alten Reitplatzes dem langen Anstehen am Spiegelzelt für Loyle Carner zu entgehen, erübrigt sich, als man die Schlange an eben jenem Spiegelzelt erblickt. Bis zum Ausgang des Reitplatzes stehen die Leute an, um den Engländer zu sehen. Scheinbar hat es sich herumgesprochen, dass einen bei dem grundsympathischen Engländer Großes erwarten wird. Diese Erwartung wird im Anschluss nicht nur erfüllt, sie wird um Längen übertroffen. Das Haldern-Publikum ist sicherlich eines der tolerantesten Festivalpublikums überhaupt, aber für eine besondere Affinität zum Hip-Hop ist es bis dato nicht bekannt. Dies ändert Carner mit links. Wie er es schafft, das Zelt im Handumdrehen in einen großen Hip-Hop Jam zu verwandeln, ist bemerkenswert. Dabei ist seine Musik weit davon entfernt, Party Hip-Hop oder dergleichen zu sein. Vielmehr schafft er es durch seine unheimlich smoothe Art zu rappen, sein absolut sympathisches Auftreten und seine wirklich guten, an die P-Funk Era erinnernden Songs, das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Das frisst ihm ab Sekunde eins aus der Hand, bounct, wie es das Spiegelzelt noch nicht gesehen hat, und versucht sich beim Song „NO CD“ als rappender Backgroundchor. Wer bei dieser viel zu kurzen Dreiviertelstunde dabei war, wird im Anschluss – auch ohne Hip-Hop Affinität – von einem der besten Konzerte des gesamten Wochenendes sprechen.
Die Höchste Eisenbahn hätten wohl viele auf der Hauptbühne erwartet, umso schöner, dass man die Band um Moritz Krämer, Francesco Wilking, Felix Weigt und Max Schröder in weit intimerem Rahmen im Spiegelzelt erleben kann. Dieses platzt dann auch aus allen Nähten und Band und Publikum haben sichtlich Spaß am Auftritt. Zumindest alle bis auf Francesco Wilking, der zur Mitte des Konzerts um sein Leben fürchtet, da Stromschläge drohen, ihn außer Gefecht zu setzen. Nachdem dieses Problem gelöst ist, packt die Band um den sichtlich erleichterten Wilking die Hits aus und spätestens bei „Lisbeth“ singt, zählt und tanzt das gesamte Zelt mit der Eisenbahn.
Matthew and the Atlas gehören zu den Bands, bei denen man sich, sobald die Stimme des Sängers einsetzt, vor Gänsehaut nicht retten kann. Ganz zu Beginn noch etwas wackelig, fängt sich Matthew Hegarty und genau das oben beschriebene setzt ein. Dass Gänsehaut verschiedene Steigerungsformen hat, bekommt man vor Augen geführt, als die Band ihren heimlichen Hit „On a Midnight Street“ spielt. Ab diesem Zeitpunkt frisst das Publikum im Zelt der Band aus der Hand und vor allem die eingestreuten postrockigen Elemente bei den letzten Stücken im Set der Band passen hervorragend zur Stimme Hegartys. Eine Band, die man sich unbedingt nochmal im Rahmen einer Club Show angucken sollte.
Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi haben die Ehre, die Hauptbühne am Festivalfreitag abzuschließen. Eine Programmierung, die genau das exemplarisch aufzeigt, was das Haldern Pop Festival auszeichnet, nämlich Mut. Hip-Hop in seiner künstlerisch aufwendigsten Form, mit Texten, bei denen es auch zu später Stunde zumindest ein wenig Aufmerksamkeit erfordert, mag so manchen Festivalbesucher überfordert haben. Diejenigen, die sich auf Robert Gwisdek und seinen wahnwitzigen Sprechgesang einlassen, werden mit einer großartigen Show belohnt, die irgendwo zwischen Konzert, Musical und Improvisationstheater liegt. Der Platz tanzt, nimmt die gute Laune der Tentakel auf und ist zwischendurch immer mal wieder sprachlos ob der sprachlichen Finessen Gwisdeks. Spätestens, als er sich in „Sockosophie“ ein kongeniales Zwiegespräch mit einer Socke auf seiner Hand liefert, kennt die Begeisterung keine Grenzen mehr. Sich die Texte zu merken, sie mit einem derartigen Flow und Live Band so auf den Punkt zu droppen, ist ganz große Kunst und wird vom Publikum auch entsprechend honoriert – man will den Käptn und seine Tentakel gar nicht mehr von der Bühne lassen. Ein toller Abschluss eines starken Haldern-Freitags.
Der Samstag beginnt wettertechnisch ähnlich trüb wie der Freitag, die Aussichten lassen jedoch zumindest auf einen halbwegs trockenen letzten Festivaltag hoffen. Dieser wird im Spiegelzelt aufgrund einer Programmänderung vom jungen Briten Tom Grennan eröffnet. Anscheinend hat sich herumgesprochen, dass es sich bei Grennan um einen Künstler handelt, von dem man in der Zukunft noch einiges hören wird, denn das Zelt ist bereits zu früher Stunde pickepacke voll. Die Anwesenden im Zelt sind bester Laune, was sich auf Grennan zu übertragen scheint. Er spielt ein tolles Konzert und lässt mit seinen Songs – zumindest im Spiegelzelt – für eine knappe Stunde die Sonne scheinen. Artig und sichtlich beeindruckt von so viel Begeisterung bedankt er sich nahezu nach jedem Lied mit einem britisch-akzentuierten „This was a nice one“.
Nach Tom Grennan bleiben die meisten, trotz tropischer Temperaturen, im Spiegelzelt, um einen guten Platz für Voodoo Jürgens zu ergattern. Eilt dem Wiener doch der Ruf voraus, eine ziemlich bekloppt unterhaltsame Show zu liefern. Leider steckt er jedoch irgendwo vor Haldern im Stau, so dass nicht Gewiss ist, ob und wann die Show stattfindet. Das Zelt lehrt sich daraufhin und ein Großteil zieht es zur Hauptbühne, auf der Radical Face als nächstes spielen.
Radical Face dürfte den meisten durch ihren Song „Welcome Home“ bekannt sein, der von einem großen Kamerahersteller als Song für einen Werbespot ausgewählt wurde. Irgendwie immer ein Kreuz für eine Band, wenn ein Song derart im Mittelpunkt des Interesses steht. Entsprechend hat man während des Auftritts auch das Gefühl, dass das Publikum zum überwiegenden Teil auf eben jenes Lied wartet. Die Band spart sich den Hit dann auch stilecht bis zum Ende auf, was den eh schon etwas langatmigen Auftritt noch etwas langatmiger macht. Am Ende singt dann der gesamte Platz bei „Welcome Home“ mit, die Sonne entscheidet sich, das Ganze mit einem ihrer seltenen Wochenendauftritte zu untermalen, so dass zumindest dieser Teil des Auftritts von Radical Face in guter Erinnerung bleibt.
Anders im Anschluss Nick Waterhouse: Der Kalifornier kommt samt Band in feingebügeltem Zwirn und Sonnenbrille auf die Bühne und versteht es, das Publikum innerhalb kürzester Zeit auf seine Seite zu ziehen. Wahrscheinlich durch die Sonnenbrillen provoziert, entscheidet die Sonne sich für ein längeres Intermezzo und Waterhouse und Band wissen dies zu nutzen und bringen den alten Reitplatz fast in Gänze zum Tanzen. Die Musik, die Waterhouse selbst nicht kategorisieren will, lädt aber auch dazu ein, die eingerosteten Hüften zu schwingen. Würde man Vergleiche ziehen wollen, würde man bei frühem R’n’B oder bei den Ostküsten-Kollegen von Daptone landen. Waterhouse spielt seine Songs unfassbar cool, die Bläserfraktion ist auf den Punkt und der Schlagzeuger trommelt seinen Stiefel dermaßen tight, dass es eine wahre Freude ist. Die Songs werden im Laufe des Gigs immer tanzbarer und Zuschauer und Band sind irgendwo zwischen euphorisiert und geknickt, als es nach einer Stunde vorbei ist. Bei diesem Auftritt passt alles: Ort, Zeit, Publikum und Musik.
Bear’s Den kann man getrost als alte Haldern-Hasen bezeichnen. Bereits zum dritten Mal sind die Engländer auf dem Festival zu Gast und es ist beeindruckend, dass sie sich von Mal zu Mal weiterentwickeln und vor allem, dass sie anscheinend nicht in der Lage sind, ein schlechtes Konzert zu spielen. Ihre Auftritte werden zwar immer größer und professioneller, aber man hat nie den Eindruck, dass Routine bei den Konzerten die Überhand gewinnt. So auch an diesem – inzwischen recht lauen – Augustabend. Das Publikum ist selig und als die Band zum Ende ihres Konzertes „Berlin“ intoniert, hat man den Eindruck, mal wieder bei einem der magischen Haldern Momente dabei gewesen zu sein.
Wenn Bear’s Den alte Haldern-Hasen sind, dann kann man bei Greg Dulli von den Afghan Whigs fast schon vom Festival-Urvater sprechen. Bereits zum siebten Mal steht er – nach eigener Aussage – an diesem Abend auf der Bühne des Festivals. Nachdem die Afghan Whigs 2012, im Jahr ihrer Reunion, bereits ein großartiges Konzert in Haldern gespielt haben, ist man gespannt, ob die „alten Herren“ dieses Niveau fünf Jahre später an selbiger Stelle halten können. Bereits nach wenigen Takten des Eröffnungssongs „Birdland“ ist klar, von Niveau halten kann an diesem Abend keine Rede sein. Hatten sie 2012 noch drei Songs gebraucht, bis sie das Publikum auf ihrer Seite hatten, braucht die Band in diesem Jahr absolut gar keine Anlaufzeit. Dulli ist perfekt bei Stimme und der Rest der Band ist hervorragend aufeinander eingespielt. Die Songs entwickeln live einen derartigen Druck, dass innerhalb kürzester Zeit der komplette Platz in Bewegung ist. Wirkte die Band vor fünf Jahren etwas nervös, scheinen Dulli und seine Mannen an diesem Abend von Beginn an großen Spaß an der Show zu haben. Diese Freude überträgt sich auf das Publikum und man sieht während der Songpausen des Öfteren ungläubiges Kopfschütteln ob der fantastischen Live-Qualitäten der Whigs 2017. Nach 17 Songs beendet die Band das Konzert mit einer schier unglaublichen Version von „Faded“ und hinterlässt einen Reitplatz, der sich völlig euphorisiert einig ist, dem bis dato besten Konzert des Haldern Pop 2017 auf der Hauptbühne beigewohnt zu haben.
Nach den Afghan Whigs hat Kate Tempest die etwas undankbare Aufgabe, den Slot vor Bilderbuch zu füllen. Vor zwei Jahren, etwas früher am Nachmittag, sorgte die junge Engländerin mit ihrer Mischung aus Rap und Poetry Slam für offene Münder und große Begeisterung bei den Anwesenden. Auch 2017 ist dies zunächst bei vielen der Fall, für einen Teil des Publikums scheint die Wut und die Eindringlichkeit, mit der Tempest ihre Gedichte und Songs vorträgt, jedoch eine Überforderung darzustellen. Ist man anfangs noch von der Energie beeindruckt, nimmt die Aufnahmefähigkeit doch nach einiger Zeit spürbar ab. Kate Tempest zeigt sich davon unbeeindruckt und trägt ihre Verse bis zum Ende mit großer Inbrunst und Intensität vor.
Den Abschluss des 34. Haldern Pop Festivals bestreiten Bilderbuch aus Österreich. Bilderbuch gehört zu diesen Bands, die man mag oder mit denen man rein gar nichts anfangen kann. Vor zwei Jahren nach AnnenMayKantereit im Biergarten schafften sie es mit einer extrem starken Show, viele Zweifler auf ihre Seite zu ziehen. Entsprechend gespannt ist man, wie die Jungs um Sänger Maurice Ernst sich auf der großen Bühne schlagen würden. Soviel vorweg: auch die, die mit der Musik Bilderbuchs nicht viel anfangen können, werden zugeben müssen, dass die Band an diesem Abend eine aberwitzig gute Show abliefert und darüber hinaus als Band perfekt aufeinander eingespielt ist. Das Konzert wird als Messe inszeniert, bei der Ernst den Priester gibt und im Background von zwei großartigen Gospelsängerinnen unterstützt wird. Im Livekontext wirkt die Musik der Wahl-Wiener bedeutend rockiger als auf Platte, was den Songs unheimlich gut steht. Angereist mit einem eigenen 40-Tonner an Equipment, ziehen sie alle Register einer perfekten Live-Show und erweisen sich damit als würdiger Abschluss des Festivals.
Das 34. Haldern Pop Festival hatte all das, was man vom Haldern Pop kennt. Ein bärenstarkes Line Up, viele dieser magischen Momente, die man wohl nur hier erleben kann, ein – wie immer – äußerst musikinteressiertes, entspanntes Publikum und einen – ebenfalls wie immer – störrischen Wettergott. Was neben den vielen großen Konzerten besonders in Erinnerung bleibt, sind die Neuerungen auf dem Festivalgelände, die es geschafft haben, den sonst etwas verlorenen hinteren Teil des Geländes besser einzubinden. Gerade das Kaltern Zelt und das Tipi im ehemaligen Pressebereich fanden großen Anklang beim Publikum. Exemplarisch sei hier nur das launige Gespräch zwischen Richard Foster und dem Glastonbury Booker Martin Elbourne genannt, wobei man den beiden noch ewig bei ihren Anekdötchen und Einschätzungen zum aktuellen Festivalbusiness hätte zuhören können. Alles in allem war es wieder ein tolles Wochenende am Niederrhein. Wem die Wartezeit bis zum 35. Haldern Pop zu lang ist, dem sei empfohlen, Ende Oktober zum 3. Kaltern Pop Festival nach Südtirol zu fahren. Neben einem schönen Line Up erwarten einen dort großartige kulinarische Genüsse und ein kleines, sehr familiäres Festival, bei dem man viele Bekannte aus Haldern trifft und die Möglichkeit hat, mit vielen der Bands ins Gespräch zu kommen.