29.01.2018, Gebäude 9, Köln
„Zum ersten Mal seit 70 Jahren sitzen wieder Nazis im deutschen Bundestag. Wir dürfen nicht aufhören, darüber zu sprechen!“ In den vergangenen zwei Wochen war die Aachener Post-Hardcore Band FJØRT mit ihrem dritten Studioalbum COULEUR auf Tour unterwegs. Im Gepäck hatten sie einerseits natürlich die neuen Songs aber auch den Anspruch, genau darüber zu sprechen. Mit COULEUR hat das Posthardcore-Trio den Sprung aus den Clubs in kleinere Hallen geschafft. Nur drei Termine auf ihrer Tour waren nicht ausverkauft. Das Kölner Gebäude 9 zum Beispiel war schon Anfang Dezember dicht.
Es ist Montagabend, an den Unis ist Klausurenwoche, doch das Kölner Gebäude 9 platzt aus allen Nähten vor lauter Menschen, die dennoch durch das nasskalte Januarwetter gestapft sind, um FJØRT spielen zu sehen.
Der Abend beginnt mit dem beeindruckenden mehrdimensionalen Post-Hardcore der Band LIRR aus Flensburg. Da alleine schon ihre Show eine eigene Review wert wäre, sollen sie hier zumindest nicht unerwähnt bleiben. Genauso wenig wie der Tipp, sich ganz schnell ihr Debütalbum GOD’S ON OUR SIDE; WELCOME TO THE JUNGLE anzuhören (falls nicht eh schon geschehen), es ist nämlich wahnsinnig gut!
Bei LIRR kann man sich noch ganz gut bewegen und die Menge wirkt zum Teil etwas verhalten, als könnten viele das, was sie sehen und vor allem hören, noch nicht so ganz einordnen. Beim Headliner FJØRT fühlt man sich dagegen eher wie eine Sardine in der Dose; heiß, überall schweißnasse Körper, kaum Platz, und die Luft schwer vor Erwartung. Und dann eröffnen FJØRT mit „Südwärts“ und das alles ist vergessen. FJØRT klingen wie eine Naturgewalt: roh, energisch, wunderschön. Ihr gewaltiger Sound wird durch grelle Scheinwerferlichter und Strobolichter atmosphärisch unterstrichen. Im Publikum wird gemosht, mitgeschrien, einer nach dem andern klettert auf die Bühne und springt in die Menge. Es ist die pure Ekstase.
Als David Frings (Bass, Gesang) „Paroli“ mit einer kleinen Rede einleitet, in der er dazu aufruft, sich klar gegen den Rechtsruck von AfD, Pegida und Co. zu positionieren, ist es aufeinmal ganz still. Der Band ist es wichtig, ihre Reichweite zu nutzen, um ihre Zuhörerschaft dafür zu sensibilisieren, aktiv und laut gegen Rechts zu demonstrieren. So leisten sie nicht „nur“ musikalisch einen großen Beitrag, sondern auch gesellschaftlich. Zeilen wie: „Aber denk niemals: Was bringt es wenn ich was sag?!“ sind vielleicht der Grund dafür, warum sich jemand traut, in Diskussion zu treten mit jemandem der daher kommt mit Sätzen wie „Ich hab ja nix gegen Ausländer, aber…“. Das ist wichtig. Und das scheint auch das Kölner Publikum so zu sehen, denn es stimmt David mit lautem Applaus zu. Bei „Paroli“ scheint sich die vorher schon ekstatische Stimmung nochmal zu steigern.
Ein weiterer Höhepunkt des Abends folgt, als die erste Strophe von „Couleur“ mit leiser musikalischer Untermalung beinah in Form einen Gedichtes von David vorgetragen wird. Dabei dürften die meisten wohl eine Gänsehaut bekommen haben:
„an dem Platz wo die Rosen stehen
wird geschossen auf drei Menschen die es anders sehen
die das Maul nicht halten könnenm weil es sonst jeder tut
‚behalt es für dich‘, spricht die Kugel im Lauf
Und im Kopf wird geboren, was die Münder nie verlässt
Die Zeit die dich braucht, die ist jetzt!
ein Gedanke auf Granit
ich will doch nur eins:
Dass mein verdammtes Wort genauso viel wiegt wie deins!“
Der Bassist der Band steht durch seine hervor preschende Bühnenpräsenz zwar im Vordergrund, doch Chris Hell (Gitarre, Gesang) und Frank Schopenhauer (Schlagzeuger) gehen daneben keineswegs unter. Chris hält das Publikum durch seine eindringliche Stimme und seine melodischen Gitarrenwände gefangen. Franks Schlagzeugspiel ist so roh, so intensiv und gleichzeitig unglaublich präzise, dass es die Stimmung der Songs direkt bis in die Knochen transportiert. Der Sound von FJØRT ist so intensiv, dass es beinah wehtut. So ist es auch kein Wunder, dass das Moshpit brodelt wie ein ausbrechender Vulkan und das textsichere Publikum die durch die Musik ausgelösten heftigen Emotionen der Band mit aller Kraft entgegen schreit.
FJØRT sind eine der besten Live-Bands Deutschlands. Überhaupt sind sie mit unter dem Besten, das Deutschland je musikalisch hervorgebracht hat. Ein großes Dankeschön an Chris, David und Frank für diesen unvergesslichen Konzertabend! Auf noch viele Wiedersehen!
SETLIST:
Südwärts
Eden
Anthrazit
Magnifique
Kontakt
Paroli
Windschief
Mitnichten
Raison
D’accord
Couleur
Valhalla
Lebewohl
Zugaben:
Lichterloh
Klein auf klein
Karat