Biffy Clyro – MTV Unplugged (Live at Roundhouse London)
Während bei ihren explosiven Live-Shows die rohe Energie ihrer Songs im Mittelpunkt steht, zollt die Unplugged Version Tribut an Simon Neils wunderschöne Lyrics, ebenso wie an diese ganz besondere Musikalität von Biffy Clyro, die tief unter die Haut geht. Songs wie “God and Satan” und einige während ihrer Konzerte eingeschobenen Nummern, die nur von Simon Neil auf seiner Akustikgitarre begleitet wurden, ließen die Schönheit von Biffy Clyro in akustischem Gewand bereits erahnen. Nach Bands wie Nirvana, Pearl Jam und R.E.M. wurden die drei Schotten nun zurecht als eine der größten Rockbands unserer Zeit zu MTV Unplugged eingeladen.
Mit “Mon the Biff”-Chören der Fans im berühmten Londoner Roundhouse beginnt die Platte. Simon Neil begrüßt das Publikum: “We are Biffy Clyro and this is MTV Unplugged”. Ohne weitere Umschweife steigt die Band in eine ungewohnt ruhige, weil akustische, Version von “The Captain” ein. Es folgen wunderschöne Interpretationen von “Biblical”, “Re-Arrange” und dem von Gitarre und Mundharmonika begleitetem “Drop It”. Noch mehr als seine Vorgänger sorgt die Akustikversion von “Black Chandelier” ab dem ersten Ton für Gänsehaut. Ohne die elektrische Gitarre und die krachenden Drums wirkt der Song beinah schmerzhaft zerbrechlich und entfaltet eine ganz neue sanfte Energie, die die Tränen in die Augen treibt und das Herz stolpern lässt. Wenn dann noch “Mountains” erklingt, möchte man vor der Schönheit des Songs am liebsten nur noch auf die Knie fallen und “I am a mountain/ I am the sea/ You can’t take that away from me” so laut wie nur möglich mitsingen.
“This is probably the most important Song tonight that I didn’t write”, kündigt Neil die Coverversion des Beach Boys Songs “God Only Knows” an. Er beschließt ihn mit: “God Bless Brian!” Bei “Small Wishes” zieht im letzten Drittel des Albums das Tempo mit dem Country-angehauchten Sound deutlich an. Man fühlt sich, als säße man an einem großen Lagerfeuer irgendwo unter dem unendlichen Himmel des amerikanischen Südens, ein kühles Bier in der Hand, einen Cowboyhut auf dem Kopf und gegenüber Simon Neil mit Westerngitarre in der Hand.
Auch ein Song wie “Bubbles” funktioniert wahnsinnig gut ohne Verstärker und Lärm. Vor allem die Zeilen, die Neil und die beiden Johnston-Brüder dreistimmig singen, entfalten eine tolle atmosphärische Stimmung. Daran knüpft “Medicine” mit seinen sanfteren Tönen und emotionsgetränkten Lyrics perfekt an: “So swallow your problems/ we belong to a new dawn”. “Many of Horror” ist einer der (vielen) Biffy-Songs, der schon immer Emotionsstürme hervorzurufen wusste. In der Akustik-Version hebt er diese auf eine ganz andere Ebene, indem Neils Stimme sich unmittelbar durch die pulsierenden Herzgefäße wütet.
“I would dig a thousand holes to lay next to you/ I would dig a thousand more if I needed to” – mit “Machines” als dem prädestinierten Akustik-Song beenden Biffy Clyro ihre MTV Unplugged Session. “Take the pieces and build them skywards/ I have forgotten how good it could be to feel alive”, wie gut, dass Biffy fuckin Clyro da sind, um uns wieder daran zu erinnern!
VÖ: 25. Mai 2018, Warner Bros, http://mtvunplugged.biffyclyro.com
Ohr d’Oeuvre: Biblical/ Black Chandelier/ Mountains/ Many of Horror/ Machines
Gesamteindruck: 10/10
Tracklist: The Captain/ Biblical/ Re-Arrange/ Drop It/ Black Chandelier/ Folding Stars/ Different Kind of Love/ Mountains/ God Only Knows/ Opposite/ Small Wishes/ Bubbles/ Medicine/ Many of Horror/ Machines
(rl)
Swutscher – Wilde Deutsche Prärie
SWUTSCHER, der immer verschwitzte und manchmal ein wenig eklige (aber mit ganz viel Herz – bestimmt) Bruder von CHUCKAMUCK, macht jetzt auch Musik. Gut, der größte Idiot im Clan ist dieser schöngeistige Barfußposer ANNENMAYKANTEREIT. Aber seitdem der richtig Kohle hat, hört man (Gott sei Dank) nichts mehr von ihm und seinem rauchigen Genöle.
SWUTSCHERs Debüt „Wilde deutsche Prärie“ wird morgen veröffentlicht. Die Stimme des Sängers Sascha Utech klingt nach Rio Reiser, der versucht eine GEBRÜDER BLATTSCHUSS Platte neu aufzunehmen. Deswegen schreibt man auch direkt TON STEINE SCHERBEN in den Pressetext. Das neunte von zehn Liedchen heißt auch „V-Mann im Blaumann“. Aber politisch ist auf der Platte deswegen noch lange nichts. Zu den GEBRÜDERn BLATTSCHUSS muss gleich noch mehr gesagt werden. Der alte Mann mit dem Hut – Georg Seeßlen – hat in seinem neuen Buch „This is the end“ über Helene Fischer geschrieben, dass ein Lied wie „Atemlos“ kein Versprechen mehr auf ein besseres Leben enthält, sondern nur noch davon handelt, dass „man zugleich erotisch-abenteuerlich und bürgerlich-kontrolliert (‚angepasst‘) sein kann“. SWUTSCHER erzählen davon, dass man zugleich bürgerlich-kontrolliert und total besoffen sein kann. Fast in jeder Nummer wird versucht über Eckkneipen- Annexion zu punkten. Brauntönige Instagram-Bilder aus dem goldenen Handschuh und dem Elbschlosskeller von hippen Elendstouristen. Wenn sie den eingeschlagenen Pfad einmal kurz verlassen, wie in ihrer häuslichen-Gewalt(?) Nummer „Von A nach B zu C“, dem stärksten Stück auf dem Album, wird es tatsächlich (auch musikalisch) interessant. Aber nun noch einmal zu den GEBRÜDERn BLATTSCHUSS. Deren bekanntester Hit „Kreuzberger Nächte“ handelt von einer typischen Nacht im gleichnamigen Berliner Kiez, während der 1970er Jahre. Der Protagonist des Songs trifft auf einige Personen, wie einen Lokalredakteur, einen Rentner und „diese Frau“. Er beschreibt seine Eindrücke. SWUTSCHER, die mit „Samstagnacht“ quasi ein Remake von „Kreuzberger Nächte“ aufgenommen haben, ist ein soziologisches Meisterwerk gelungen. Während im BLATTSCHUSS Track noch die Außenwelt wahrgenommen wird, handelt SWUTSCHERs Update eigentlich nur noch von der eigenen Wirkung auf die anderen Partygäste. Als Verstärker helfen Old Spice und Kokain. Sehr selbstbewusst klingt das nicht. Eher verzweifelt. Aber ganz verstanden hab ich es eh nicht. Denn Utech reicht es nicht Reisers Stimme zu kopieren. Es muss schon ein total besoffener Rio Reiser sein. Wahrscheinlich wird die Platte, bzw. das Projekt SWUTSCHER ein großer Erfolg. Prost!
VÖ: 25.Mai 2018, Staatsakt/Caroline International, www.swutscher.de
Ohr d’Oeuvre: Von A nach B zu C/ Samstagnacht
Gesamteindruck: 5/10
Tracklist: Im Westen/ Samstagnacht/ Burnout Boogie/ Faxen Dicke/ Von A nach B zu C / Karussel/ Bierstübche/ Kalt/ V-Mann im Blaumann/ Aller guten Dinge sind drei
(bk)