Michael Rothers NEU! Negativland passt perfekt. Im ersten Moment, wenn Anna Calvi nach dem Ende des unzerstörbaren und heute (sehr laut) ausgespielten (10-minütigen) Presslufthammer-Krautrock-Klassikers die Bühne des Gloria betritt, denkt man kurz der Leibhaftige selbst – PRINCE – wäre auferstanden. Die ersten Gitarrentöne und Calvis gewähltes Bühnenoutfit erinnern an des Meisters Purple Rain Ära und verstärken die Illusion.
Mit einer Keyboarderin (die im Laufe des Konzertes auch mal zur Gitarre greifen wird) und einem Schlagzeuger im Rücken, wird das Titelstück „Hunter“ aus dem gleichnamigen Album angestimmt. Die meisten Songs der letzten Platte scheinen schon immer dagewesen zu sein. So vertraut und klassisch klingen die Stücke aus Calvis umjubelten dritten Album inzwischen. Während die Platte durch ihre etwas glatte Produktion erst beim zweiten oder dritten Durchlauf ihre ganze Schönheit preisgibt, entfaltet sich am heutigen Abend die große Kunst der Anna Calvi auch für Unbedarfte sofort auf der Stelle – so stark ist ihr Material, so hemmungslos leidenschaftlich ihr Vortrag. „Swimming Pool“, „As a Man“, „Don’t Beat the Girl Out of My Boy“ – fast alle Stücke der Platte sind bewundern. Manchmal sieht es so aus, wenn Anna Calvi am Ende des Bühnenlaufstegs steht, der weit ins Publikum des ausverkauften Glorias hineinragt, als würde das Publikum sie umzingeln – mit ihren gezückten Smartphones. Aber davon lässt sich Calvi nicht beeindrucken. Dass sie hier steht ist ihre Absicht.
Den einzigigen winzigen Kritikpunkt den man anbringen könnte, ist das Fehlen eines Bassgitarristen. Das ist aber tatsächlich eine Geschmacksfrage. Anna Calvi lässt ihre Keyboarderin zeitweise ziemlich beeindruckende riesige Basswände bauen. Aber eben Wände. Die sind statisch und grooven überhaupt nicht. Aber wahrscheinlich soll auch das genauso sein.
Zwei Zugaben folgen auf den gut einstündigen Hauptteil: das ebenfalls bereits klassische „Desire“ vom Debüt und SUICIDEs „Ghost Rider“. „America is Killin‘ its Youth.“ Danach hält sie ihre Gitarre wie eine erlegte Trophäe über ihrem Kopf. Ein denkwürdiger Abend.
Zusammen mit Annie Clark (ST VINCENT) bildet Anna Calvi im Moment die Spitze des relevanten und erstzunehmenden Gitarrenrocks der Gegenwart. Das ist nach dem Konzert unbestritten.
The Future is Female!
Fotocredit: Peter Szymanski