Und dann war da noch diese Band. Es gab sie schon wirklich lange – gegründet zu einer Zeit als Musik außer Text und Melodie oft auch noch aus einer Aussage, Haltung oder Meinung bestand. Die Haltung der Band war schon immer unbequem. Sehr unbequem. So unbequem sogar, dass sie sogar denjenigen unbequem war, die sich doch eigentlich selber zu den ganz, ganz Unbequemen zählten.
Die Goldenen Zitronen schicken also eine neue Platte an die Diskursfront. MORE THAN A FEELING ist ihr Titel. Wobei sich die Zitronen eigentlich nie der bloßen Emotionsvertonung verdächtig gemacht haben, sondern den Adressaten ihrer Texte doch immer höchst explizite Hinweise auf deren Fehlverhalten mitgaben. In dieser Hinsicht fallen die neuen Stücke fast ein wenig zurück. Da geht es um Mauern in Köpfen, um Mauern durch Gebiete und um gefälschte Wahrheiten. Das ganz große Aha-Erlebnis gelingt bei diesen Themen nicht mehr. Treffend und sprachlich gekonnt ist es dennoch. So zum Beispiel in „Gebt Doch Endlich Zu Euch Fällt Sonst Nichts Mehr Ein“, wo es gelingt, mit wenigen Worten, viel von dem zu benennen, was bei der EU-Grenzabsicherung moralisch im Argen liegt: Europäische Werte/ exklusive, hochverehrte/ geschickt, getrickst, erschwerte/ heimtückisch verwehrte.
Die musikalische Qualität von MORE THAN A FEELING ist wie erwartet gut. Ohne Einschränkung gut. Aber ohne Einschränkung wie erwartet. Es sind die deckungsgleichen Mittel, die bereits auf dem Vorgänger WHO´S BAD (auch schon ein Popzitat als Albumtitel) zum Einsatz kommen. Ein elektronisch geprägter Sound, meistens nervös und treibend, mit wohldosiertem Bass, nie einfallslos und immer sehr passend zur textlichen Gestaltung. Nur eben: Wie gehabt.
Zu den nachhaltig bemerkenswerten Stücken auf MORE THAN A FEELING gehört „Es nervt“, das in guter Zitronen-Tradition denen vors Schienenbein tritt, die sich –hier in Sachen Ausgrenzung- keiner Schuld bewusst sind. „Das war unsere BRD“, ist ein distanziert zweifelnder Rückblick im Kraftwerk-Gewand mit netter Funk-Gitarre. Und „Die Alte Kaufmannsstadt 2017“ kritisiert das Umfeld des G20-Gipfels in Hamburg, wobei von Politik und Polizei, über bürgerlichen und autonomen Protest, bis hin zur Band selbst, jede Seite ihr Fett wegkriegt.
Auf voller Länge löst das Album nicht immer das im Titel gegebene Versprechen ein. Den Status als unbequeme Qualitätsband sichern die Goldenen Zitronen damit jedoch locker.
VÖ: 8.Februar 2019, Buback Tonträger/Caroline International, http://www.die-goldenen-zitronen.de
Tracklist: Katakombe / Gebt Doch Endlich Zu Euch Fällt Sonst Nichts Mehr Ein / Nützliche Katastrophen / Heimsuchung / Bleib Bei Mir / Es Nervt / 20×20 / Das War Unsere BRD / In Der Schleife / Mauern Bauen (Testweise) / Die Alte Kaufmannsstadt Juli 2017
Ohr d’Oeuvre: Es Nervt / Das War Unsere BRD / Die Alte Kaufmannsstadt Juli 2017
Gesamteindruck: 7,5/10