Was sich mit der Veröffentlichung von Sophie Hungers letztem Album „Molecules“ bereits andeutete, ist seit letzten Montag Gewissheit. Die Sängerin hat sich vom angejazzten Pop der Vergangenheit verabschiedet und setzt jetzt auf eine elektronischere Ausrichtung. Und es funktioniert hervorragend.
Bevor Hunger das Publikum mit ihrem knapp zweistündigen Konzert komplett in ihren Bann ziehen wird, darf das neue Bandmitglied Frank Powers mit Gitarre und Loopeffekten den Support übernehmen. Sein Gesang erinnert in den besten Momenten ein wenig Moses Summey. Das Songwriting ist auf die Dauer leider ein wenig zu beliebig um wirklich zu fesseln. Aber Potential hat der sympathische Junge.
Sophie Hunger öffnet dann ihre Bar und lädt alle ein um dort mit Veteranen, Arbeitslosen, Beschäftigten und anderen interessanten Antagonisten zusammen Drogen zu nehmen und arktische Eisplatten in der Mikrowelle schmelzen zu lassen. Mit „I opened a bar“ ist ihr nicht nur auf der Textebene ein großer Wurf gelungen. Der groovende Beat mit Apparat-Soundwänden ist der perfekte Konzerteinstieg. Mit „The Actress“ und „Let it come down“ folgen zwei weitere Stücke aus „Molecules“ – dramaturgisch brilliant platziert. Auch das anschließende „Supermoon“ – aus dem gleichnamigen Album – erhöht die Spannung – „I was cut out of your stone, I’m empty but I’m never alone. Sometimes I’m cold and sometimes I burn.“ Nach dem fiebrigen Song berichtet Hunger von ihrer überstandenen Erkrankung der Vorwoche. Ganz begeistert scheint sie darüber nicht zu sein. Wenn man mit Fieber auftritt, fühle man sich so existenziell. Sophie Hunger ist mehr als faszinierend, wenn sie zu ihren teilweise etwas kryptischen Zwischenausführungen ausholt. Dabei überspannt sie nie den Bogen. Wirklich nacherzählbar ist es nicht.
Auch gibt es neue Lieder an diesem Abend zu bestaunen. „Halluzinationen“ folgt der Fiebererzählung. Besonders bemerkenswert ist das Stück „Rote Beete mit Arsen“ – in dem sie unter anderem Hannah Arendts Banalität des Bösen im Wesen „der deutschen Frau“ zu erkennen scheint. Das wird sicherlich nicht allen gefallen. Sehr gut!
Interessant ist das neue Arrangement von „Das Neue“. Auf der Platte eben eins dieser ziemlich verspielten, angejazzten Stücke. Jetzt kommt das Ganze deutlich strenger und dunkler, mit Synthies statt Piano daher – und endet in einem famosen Schlagzeug dominierten Jam.
Im ersten Zugabenblock gibt es neben „Spaghetti mit Spinat“ (das die Besitzer der Limited Deluxe Version von „Supermoon“ kennen) noch einen weiteren bemerkenswerten neuen Song – mit dem Titel „Liquid Air“, der von Liebe und Sex unter dem Einfluss von Alkoholkonsum handelt – von Suffliebe. Mit Sophie Hunger möchte man nach diesem Abend sehr gerne mal eine Nacht um den Block ziehen. Das könnte ziemlich lustig, irre, aufregend, gefährlich und bestimmt auch manchmal sehr traurig werden.
Im letzten Teil folgen noch die Brel Adaption „Ne me quitte pas“ und „Train People“. Danach ist man fertig.
Für mich war es eins der besten Konzerte der letzten Jahre.
Anmerkung: die folgende Spotify-Playlist enthält statt der neuen Songs teilweise etwas seltsame Platzhalter – bis diese irgendwann verfügbar sind und dann von unserem Praktikanten-Team nachgepflegt werden.