Zunächst die gute Nachricht für all diejenigen, die spontan zum 36. Haldern Pop Festival an den schönen Niederrhein wollen: Es gibt noch ein paar Tickets. Wie immer im Leben hat die Medaille jedoch zwei Seiten und – ebenfalls wie immer – ist des einen Freud für den anderen, in diesem Fall den Veranstalter, eher nicht ganz so gut. Jetzt kann man natürlich fragen, warum das Festival, für das es in den vergangenen Jahren einer große Portion Glück bedurfte, an Karten zu kommen, anno 2019 eine gute Woche vor Beginn nicht ausverkauft ist. Auch da haben wir in der Vergangenheit bei dem, was da „Leben“ heißt, gut aufgepasst und gelernt, dass es auf einfache Fragen meist viele, nicht ganz so einfache Antworten gibt. In erster Linie muss man wohl feststellen, dass der Festivalmarkt gnadenlos übersättigt ist. Nahezu jedes Wochenende hat man von Mai bis September die Auswahl zwischen mehreren Veranstaltungen. Darüber hinaus buhlen die großen Player auf dem Markt mit aberwitzigen Gagen um die Gunst der oftmals noch nicht einmal richtig großen Bands. Das Haldern Pop geht diesen „Höher-Schneller-Weiter“-Weg konsequent nicht mit, auch auf die Gefahr hin, einmal nicht vor Beginn des Festivals das „Ausverkauft-Schild“ ins Fenster hängen zu können. Ganz ehrlich, wir finden diesen Weg genau den richtigen und finden es auch ganz angenehm, dass der Hype, der gerade beim VVK Start in den letzten Jahren schon fast groteske Züge angenommen hat, etwas abgeebbt ist. Alles in allem hat das Festival wieder eins der abwechslungsreichsten Line Up’s des Festivalsommers gebastelt und das, ohne auf DIE großen Headliner zu setzen. Am Ende wird es sowieso wieder so sein, dass man mit vielen Neuentdeckungen die Heimreise antritt, in der Gewissheit, wieder eins der besten Wochenenden des Jahres auf dem alten Reitplatz im Lindendorf erlebt zu haben. Wie in jedem Jahr haben wir den Sommerurlaub genutzt und einige Perlen herausgesucht, die wir euch wärmstens an eure poshen Herzen legen wollen.
KADAVAR: Wir freuen uns ja immer, wenn es auf dem Haldern Pop Festival etwas wilder zur Sache geht. Ein Garant fürs ekstatisches Haareschütteln in diesem Jahr sind sicherlich die Berliner Stoner Institution KADAVAR. Wer die drei Jungs schon mal live gesehen hat, wird sich in die goldenen Black Sabbath-Zeiten zurückversetzt gefühlt haben. Also, Schlaghose aus dem Schrank, Frisörtermin abblasen und am Donnerstag früh genug vor der Hauptbühne erscheinen.
Donnerstag, 20:45 Uhr – Hauptbühne
ALEX THE ASTRONAUT: Es gibt sie ja, diese Künstler*innen, die man einfach vom Fleck weg mag, ohne direkt sagen zu können, warum. Bei ALEX THE ASTRONAUT aus Down Under ist es zunächst mal diese unglaublich positive Grundhaltung, der man sich, sobald Alex Lynn die Bühne betritt, nicht entziehen kann. Wie gefesselt hängt man an den Lippen und lauscht den wundervollen kleinen Geschichten der studierten Mathematikerin und Physikerin. Ein wenig Kate Nash, ganz viel Herz und noch mehr Enthusiasmus. Das sind die Zutaten für eine garantiert tolle Show am zweiten Augustwochenende in Haldern.
Freitag, 11:35 Uhr – Kirche
PUTS MARIE: Warum wir euch PUTS MARIE ans Herz legen wollen? Zuerst, weil die Schweizer – ähnlich wie wir – ganz schön alt sind. Zum anderen, weil der legendäre Klaus Fiehe beim Betrachten eines Songs der Band der Meinung war, PUTS MARIE würden ihn an URBAN DANCE SQUAD aus den glorreichen Neunzigern erinnern. Eine Einschätzung, die wir teilen, weil wir es nie wagen würden, Klaus Fiehe zu widersprechen und weil er natürlich recht hat. Alle, die die Band im Frühjahr auf ihrer Tour live gesehen haben, waren unisono der Meinung, einer der besten Liveshows der letzten Zeit beigewohnt zu haben. Wir sind gespannt wie der sprichwörtliche Flitzebogen.
Samstag 18:30 Uhr – Spiegelzelt
IDLES: Ok, ok – die IDLES sind sicher bei Weitem nicht mehr das, was unter der Kategorie Geheimtipp läuft. Warum wir euch die Jungs um Sänger Joe Talbot trotzdem empfehlen? Weil wir’s können! Im Ernst, vor zwei Jahren haben die Jungs das Spiegelzelt in Schutt und Asche gelegt und nicht wenige mussten sich im Anschluss neiderfüllt die Konzertlegenden von den Zeltnachbarn erzählen lassen. Damit euch das in diesem Jahr auf keinen Fall passiert, nochmal zum Mitschreiben: IDLES MÜSSEN GEGUCKT WERDEN, PUNKT.
Freitag, 0:30 Uhr – Hauptbühne
LOYLE CARNER: Dass die IDLES das Spiegelzelt fachmännisch zerlegen konnten, hatten sie vor zwei Jahren auch ein klein wenig LOYLE CARNER zu verdanken. Der ließ eben jenes wunderschöne belgische Varietézelt so gerade stehen und bewies dabei ganz beiläufig, dass das Haldern Publikum auch ganz schön gut bouncen kann. Diesem unfassbar weichen Flow, gepaart mit smoothen Old School Beats, kann man sich aber auch kaum entziehen. Wenn das alles dann noch von so einem wunderbar smarten Typen wie dem Londoner Benjamin Coyle-Larner vorgetragen wird, dann ist man sich sicher, Hip-Hop ist noch nicht verloren.
Samstag, 20:30 Uhr – Hauptbühne
JULIEN BAKER: JULIEN BAKER schafft es mit ihrer Stimme, spärlich eingesetzten Pianopassagen und einer ab und an dazwischen grätschenden Gitarre, eine Atmosphäre zu schaffen, die laut Pitchfork „Häuser zum Einsturz bringen kann“. Ganz so martialisch würden wir das nicht beschreiben, aber im Kern hat diese Musikpostille wie so oft recht. Uns ist JULIEN BAKER ja tatsächlich erstmals bei ihrer Kollaboration mit den Post Hardcore Heroen von Touché Amoré aufgefallen und wir haben fortan zwei Wünsche. Der erste: Diese Stimme mal live erleben. Der zweite: Am besten auch das Duett mit Jeremy Bolm von Touché Amoré live bestaunen zu dürfen.
Wunsch 1: Erledigt
Wunsch 2: Haldern, übernehmen Sie!
JULIEN BAKER HAT IHREN AUFTRITT KRANKHEITSBEDINGT ABSAGEN MÜSSEN. WIR WÜNSCHEN GUTE BESSERUNG
DAUGHTERS: Ein sicheres Anzeichen für einen waschechten Hype ist es immer, wenn das Konzert einer Band in einer musikgesättigten Stadt wie Köln hochverlegt wird. So geschehen bei den DAUGHTERS aus Rhode Island. Alle, die die Band nicht kennen und sich denken: „Ach komm, da gucken wir mal bei einem Bier vorbei“, werden entweder seltsam fasziniert oder einfach nur geschockt sein. DAUGHTERS sind eine Dampfwalze. Nicht mehr und nicht weniger. Und ähnlich infernalisch ist auch der Krach, den der US Vierer produziert. Irgendwo zwischen Noise, Industrial und Grindcore nimmt die Band das Publikum mit auf eine wilde Fahrt, an deren Ende die Gefahr eines Tinnitus lauert. Nicht selten kommt es vor, dass Sänger Alexis S. F. Marshall sich dermaßen in Ekstase faucht, schreit und windet, dass er am Ende der Show blutüberströmt von der Bühne geholt werden muss. Das erklärt vielleicht auch den Hype im sensationsgeilen Köln.
Samstag 15:45 Uhr – Spiegelzelt
BLACK MIDI: Apropos Hype. Lange redaktionsinterne Diskussionen. Soll man dem Hype um die Londoner von BLACK MIDI folgen oder bockig gen Berlin Mitte verweisen. Die Abteilung „Macht euch mal locker, bräsige, alte weiße Männer“ der Redaktion hat sich durchgesetzt und somit in aller Deutlichkeit: BLACK MIDI werden als die beste Band Londons gehandelt. Und das von der britischen Musikpresse, denen nichts ferner liegt, als irgendein Kunststudentenprojekt in den Pop Olymp zu jazzen. Klingt euch allen zu negativ? Soll es auch. Wir wollen euch doch nur pieksen, uns im Anschluss an den Auftritt beim Haldern Pop Festival die lange Nase zu zeigen.
Donnerstag 20:00 Uhr – Spiegelzelt
FONTAINES D.C.: Erst in Kölns schönster Garage aka Privat, dann bei Jimmy Fallon und jetzt auf dem Haldern im kleinen Spiegelzelt. SKANDAL. Die Volksseele kocht. Die Schrammelkrachschläger aus Dublin MÜSSEN doch auf die Hauptbühne! So ein Quatsch. Sie passen nirgendwo besser hin als ins Spiegelzelt. Für Großes muss man manchmal auch große Opfer bringen. Wir sehen uns vier Stunden vor Konzertbeginn in der Zeltschlange. Wer sorgt für Getränke?
Freitag, 21:45 Uhr – Spiegelzelt
DURAND JONES AND THE INDICATIONS: Unsere Vorstellung zu DURAND JONES AND THE INDICATIONS war ja, dass man sich nach einem Tag, gespickt mit Folk und Singer Songwriter Musik, im Sonnenuntergang an die Hauptbühne stellt und mit einem kühlen Getränk die steifen Hüften zum unverschämt tanzbaren Motown Sound der Jungs um Durand Jones und seinen Indications schwingt. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Die Band eröffnet am Donnerstag die Hauptbühne. Nach kurzzeitigem Unverständnis werden wir einfach in der Mittagssonne die Hüften schwingen und mindestens alle zwei Songs ein Prost gen Himmel zu Charles Bradley schicken, denn wir sind uns sicher, der sitzt auf seiner Wolke und guckt – wie nur er es kann – auf den alten Reitplatz runter und hat genau so viel Freunde an DURAND JONES AND THE INDICATIONS wie wir. Cheers, Charles!
Donnerstag, 17:45 Uhr – Hauptbühne
JAMES LEG: Dass der gute JAMES LEG aus Texas Sohn eines Predigers ist, wundert, nach eigehemden Studium seines musikalischen Schaffens, nicht wirklich. Wie zur Hölle ersingt (trinkt) man sich denn bitte so eine Stimme? Da würde ja selbst Tom Waits blass vor Neid werden. Wenn man dann noch live erlebt, wie der Mann in völligem Wahn seine Fender Rhodes zu Kleinholz verarbeitet, hat man nur noch den Wunsch, den Abend bei einem kühlen Glas Whiskey am Whiskey Stand ausklingen zu lassen. Whiskey Stand? Gibt’s den?
Samstag 13:30 Uhr – Hauptbühne
RAYLAND BAXTER: RAYLAND BAXTER gehört zu der Kategorie Musiker, von denen man zunächst einmal nicht zu viel erwartet, die einen dann aber doch mit offenem Mund zurücklässt. Kleine Alltagsgeschichten, in die sich der Mann mit dem Schnürres aus Nashville wunderbar hineinsteigern kann, so dass man, ohne es selbst richtig zu merken, das ganze Konzert gebannt an seinen Lippen hängt und sich insgeheim wünscht, er würde noch den ganzen Abend kauzig, weirde Geschichten zum Besten geben. Kann er aber nicht, denn die IDLES spielen noch während des zweitletzten Songs von RAYLAND BAXTER auf der Hauptbühne zum Tanz auf.
Freitag 23:45 Uhr – Spiegelzelt
Ein gar nicht so schlechtes Zeichen ist es, wenn während des Schreibens des Vorberichtes, die Lust auf das 36. Haldern Pop Festival noch mal so richtig in die Höhe schnellt. Den Veranstaltern ist es wieder gelungen, eine gute Mischung aus „Muss man sehen“- und „Wenn’s klappt, dann guck ich mir die mal an“-Bands zusammenzustellen. Das soll an dieser Stelle keineswegs despektierlich klingen, vielmehr ist es doch das, was dieses Festival so besonders macht. Im Grunde müsste man alle Bands gucken, aber bei aller Musikliebhaberei sollte der Klönschnack unter dem Pavillon mit den Nachbarn, das Schwimmen im See oder das Kaltgetränk in geselliger Runde beim Bauern nicht zu kurz kommen. Wenn Bauer Reyers jetzt noch gutes Wetter macht, steht einem Spitzenwochenende nichts im Wege. Ach ja, natürlich haben wir bei Weitem nicht alle Geheimtipps, die wir für euch „getrüffelschweint“ haben, unterbringen können. Liest ja sonst keiner mehr. Deshalb noch die neue Kategorie „Kurz Gesagt“. Nicht entgehen lassen solltet ihr euch, neben unseren obigen Tipps:
The Chats am Freitag 14:15 Uhr im Spiegelzelt, direkt im Anschluss an gleicher Stelle Blanco White und Khurangbin am Samstag 17:30 Uhr auf der Hauptbühne. Wir sehen uns in gut zehn Tagen irgendwo im Dorf, auf dem alten Reitplatz, im Spiegelzelt, am Bierstand oder unter unserem Pavillion am Tonstudio. Eure jmcs!