In Jonathan Littells Tatsachenroman DIE WOHLGESINNTEN gibt es eine fiktive Figur namens Dr. Mandelbrod. Dieser rätselhafte deutsche Blofeld ist der Mastermind und Drahtzieher im Hintergrund. Leslie Mandoki ist der Dr. Mandelbrod des deutschen Pop.
Die Beschreibung des amerikanischen BILLBOARD Magazins, dass sein Projekt MANDOKI SOULMATES „is made up of Grammy winning jazz and and rock artists“ ist sicher nicht übertrieben. Auf seinem neuen Doppelalbum „Living In The Gap & Hungarian Pictures“ geben sich knapp zwei Dutzend hochkarätige Musiklegenden, wie beispielsweise der 2014 verstorbene Jack Bruce von CREAM, Ian Anderson von JETHRO TULL, Peter Maffay und Bobby Kimball von TOTO die Ehre. Diese Figuren sind für die Geschmacks-Blockwarte der Popmusik, die Personae non gratae schlechthin und höchstens goutierbar in einem Yachtrock-Kontext oder wie bei TOTOs diesjähriger ironisierter Africa-Viralität. Den Personen selber ist das wahrscheinlich jedoch völlig piepe – bei zusammen über 350 Millionen(!) verkauften Platten und 35 gewonnenen Grammys.
Die erste Platte „Living In The Gap“ – Progressive-Rock-Kitsch mit gut gemeinten, aber naiven Texten – enthält die ganze Bandbreite der großen aktuellen Themen; wie Umweltverschmutzung, die sogenannte Flüchtlingskrise, metoo und die soziale Ungleichheit. Für jeden ist etwas dabei. Die oft im Chor vorgetragenen Refrains, sind vor lauter Pathos und Bombast dabei manchmal kaum auszuhalten. Und die Phrasierung und Wiederholung einzelner Termini wie „Echochamber“ im Titeltrack „Living in the gap“ ist einfach nur unfreiwillig komisch. Dabei wäre das Ganze überhaupt nicht nötig. Denn neben Maffay und Tochter Julia Mandoki singt der „Freiheitskämpfer Mandoki“ (Bunte) überraschenderweise selber am schönsten – wie in dem Stück „Turn The Wind“. Weniger wäre hier viel mehr gewesen.
Eigentlich kann man Mandoki aber überhaupt nichts vorwerfen. Das ist eben dieser bräsige Studiomucker-Quatsch, den die Kernzielgruppe, alte weiße Männer und AUDIO-Leser mit SUV und schlechtem Gewissen nach dem vierten Glas Sangiovese, eben ganz gerne vom Neuheiten-Tisch der nächsten Saturn-Filliale mit in das mühsam, aber inzwischen abbezahlte Eigenheim nimmt. Soweit alles wie erwartet. Für eine Generation drunter und mit vermeintlich geistreicheren Texten, erledigen den Gewissensjob, in einem anderen Musikgenre, eben die Thees Uhlmanns und KETTCARs dieser Republik.
Legt man die zweite CD ein, wird man durchaus positiv überrascht. Die knapp 50-minütige ProgRockSuite „Hungarian Pictures“ – unter anderem inspiriert von Bela Bartóks Anfang des 20. Jahrhunderts veröffentlichten ungarischen Volksliedern – wirkt live eingespielt. Die Spielfreude der Meistermusiker ist nicht zu überhören. Teilweise geht es hier richtig zur Sache. Die letzten sechs Minuten von „Hungarian Pictures 3 – Transylvanian Dances“ blasen das Dach des audiophilen Eigenheims locker weg. Kitschig geht es auch hier teilweise wieder zu. Aber die große Qualität der Soli des Ensembles und die Arrangements Mandokis halten den Pathos im Zaum.
VÖ: 11. Oktober 2019, Red Rock (Sony Music)
Ohr d’Oeuvre: Hungarian Pictures 3 – Transylvanian Dances
Gesamteindruck: LIVING IN THE GAP 04 /10
HUNGARIAN DANCES 08 / 10
Tracklist:
LIVING IN THE GAP: Living In The Gap/ Young Rebels/ Turn The Wind/ Where We Belong/ Let The Music Show You The Way/ Too Much Pride/ Old Rebels/ Welcme To The Real Life/ Hottest Queen Of Cool/ Wake Up/ Mother Europe/ I’m Not Your Enemy
HUNGARIAN PICTURES: Hungarian Pictures 1 Sessions In The Village/ Hungarian Pictures 2 Utopia For Realists/ Hungarian Pictures 3 Transylvanian Dances/ Hungarian Pictures 4 You’ll Find Me In Your Mirror/ Hungarian Pictures 5 Return To Budapest/ Hungarian Pictures 6 Barbaro/ Hungarian Pictures 7 The Torch