Wir schreiben das Jahr 1997. Nach einer ausverkauften Tournee und Auftritten bei großen Festivals wie Rock am Ring, reist die Hamburger Band SELIG mit ihrem Produzenten Franz Plasa nach New York, um ihr bisher ambitioniertestes Album aufzunehmen.
Mit dem deutschsprachigen Grunge-Entwurf der ersten beiden Alben hat die neue Platte nichts mehr gemeinsam. „Blender“ ist ein überproduziertes Monstrum, das beim ersten Anhören den Eindruck erweckt, dass die Hauptmotivation der Beteiligten, wenn nicht das Übertrumpfen zeitgenössischer Alben wie „Pop“ von U2 oder Bowies „Earthling“, die beide einige Monate vor „Blender“ erscheinen, dann doch zumindest produktionstechnisch die Begegnung auf Augenhöhe sein sollte.
Wenn Jan Plewka im Eröffnungsstück „Meine kleine Rauchgemeinschaft“, die Zuwendung zu eher nasal zu konsumierenden Substanzen beklagt, ahnt der Hörer wer wohl damit gemeint ist und was für die neue musikalische Ausrichtung möglicherweise (unfreiwillig) verantwortlich war.
Die Reaktionen der Musikkritik und der Fans pendelten sich irgendwo zwischen Verwirrung und großem Entsetzen ein. Und nach dem kommerziellen Misserfolg wurde die Firma SELIG, nachdem Plewka als erster die Segel strich, erstmal abgewickelt. Zehn Jahre später fand man bekanntermaßen wieder zueinander.
In aktuellen Setlisten von SELIG sucht man nach Songs aus dem „Blender“ Album vergeblich. Ob die Band die New Yorker Lieder zu schlecht findet, oder ob an ihnen zu viele schmerzhafte Erinnerungen hängen, wissen nur SELIG selber.
Ich plädiere dafür, dass die Platte unbedingt rehabilitiert werden muss. Auf ihr befinden sich die geheimnisvollsten, romantischsten und tragischsten Melodien und Texte der gesamten Diskographie von SELIG. Die Singleauskopplung und bekannteste Nummer aus dem Album – „Popstar“ – ist definitiv totaler Schrott – keine Frage. Aber „Tabla“, „Winter“, „Asche im Kaffee“, „Sie zieht aus“ und „Fahrstuhlschacht“ sind ungehobene Schätze des deutschen Pop. Sie sind nicht leicht zu fassen und benötigen die aufmerksame Zuwendung des Hörers. Aber das sollte im Moment vielleicht kein Hindernis darstellen. Viel Spaß beim Entdecken!