Wenn man es freitagabends in den frühen 1990er Jahren um kurz vor 20 Uhr als Minderjähriger, vorbei an dem grimmigen Türsteher der Solinger Diskothek GETAWAY, nachdem man seinen Personalausweis abgeben musste (damit man auch garantiert vor Mitternacht, wenn wahrscheinlich die unfassbarsten Exzesse stattfinden sollten, die Rückreise in das von jeglichen Diskotheken freie Leverkusen antreten würde), in den Vorraum geschafft hatte, trennten einen nur noch wenige Minuten und eine eine dicke Stahltür, von dem heißesten Scheiß der internationalen Alternativmusik. Zu den Klängen von ohrenbetäubend laut gespielten Helge Schneider Liedern öffnete sich dann Punkt 20 Uhr die Pforte zu den Kellerräumlichkeiten der ehemaligen Brauerei Beckmann. Wenn man es später auf dem Dancefloor etwas zu toll trieb – in Bezug auf die Ambitionen beim Pogo-Ausdruckstanz – konnte es passieren, dass sich der bereits erwähnte Türsteher plötzlich ebenfalls, durch Magie(?) auf der Tanzfläche befand und den völlig enthemmten „Tänzer“ mit ambitioniertem Zugreifen durch die Feuertür in die kalte (es war immer Winter) Solinger Nacht beförderte. Mir und meinen Freunden ist dies Gott sei Dank immer erspart geblieben.
Der Soundtrack zu dem Treiben enthemmter Teenager stammte auch von der Weilheimer Indie-Bastion THE NOTWIST, die am Samstag für ein Open Air Konzert in den Kölner Tanzbrunnen kommt. Mit ihrem „Incredible Change of Our Alien“, das sich damals weniger für wilde Tanzprügeleien eignete, dafür jedoch für ernsthafte Nackenprobleme durch exzessives Moshen sorgte, hat der Sound von THE NOTWIST seit der Veröffentlichung ihres Meisterwerks „Neon Golden“ von 2002 nur noch sehr wenig zu tun. Der elektronische Einfluss auf ihre Arbeit ist auch nach dem Austritt Martin Gretschmanns aka Console aka Acid Pauli Ende 2014 vorhanden geblieben – vielleicht im Jahr 2020 sogar gegenwärtiger denn je. Beim Anhören des 2015er Album „The Messier Objects“ könnte man im ersten Moment vermuten, dass man sich tatsächlich in einem Werk von Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius befindet. THE NOTWIST sind wahrscheinlich neben KRAFTWERK und CAN, die einzige deutsche Band, deren englischsprachigen Wikipedia-Einträge ausführlicher sind, als die deutschen. Das Aufzählen ihrer Nebenprojekte und Auszeichnungen, die Konkretisierung ihres Einflusses und ihre Bedeutung für (nicht nur) die Weilheimer Musikszene würde den Rahmen völlig sprengen.
Für ihr Konzert am Samstag gibt es noch ein paar Tickets – und zwar hier.
Foto: Patrick Morarescu