For them All – Thoughts
Eigentlich kann man sich an dieser Stelle nur wiederholen. Midsummer Records sind die Trüffelschweine der hiesigen Emo – und Posthardcoreszene und bringen in regelmäßiger Beständigkeit neue Perlen an die Oberfläche. Aktueller Fall für die Hitmaschine For them All mit THOUGHTS.
Beim Trio aus dem Verdichtungsraum Koblenz/Idar-Oberstein, handelt es sich um echte DIY – Profis. Etliche selbstorganisierte Shows führten die Drei, die seit 2013 beziehungsweise mit neuem Drummer seit 2015 zusammen spielen, quer durch die Republik. Wo andere Bands vielleicht desillusioniert ihre Flügel hängen lassen, ließen sich For Them All – trotz teilweise nur drei Besuchern vor der Bühne – nicht entmutigen und entwickelten ein enormes Gespür für gutes Songwriting und die notwendige Live-Dynamik. Diese live erspielte Erfahrung merkt man den sechs Songs von THOUGHTS an. Ein hochmelodisches Destillat aus der Emotionalität von Samiam und der Melodiösität der Flatliners. Basierend auf der ständig treibenden Rhythmusfraktion um Henry Wenz und Christopher Dreher, entwickeln die Songs ihren ganz eigenwilligen Charme, der nie die Türe eintritt, sondern sich über die Beine langsam in den Bauch und schließlich in den Kopf frisst. Dies geschieht manchmal schneller, wie bei den Poppunkkrachern „Dolor Fantasma“, „Ferment“ und dem Überhit „Every Night“ und manchmal etwas langsamer wie beim Midtempokracher „Listen“. Neben dem guten Gespür für richtig gute Refrains, zieht einen immer wieder die heiser-warme Stimme von Sänger Dominik Schmidt in seinen Bann, die oft unwillkürlich an Jason Beebout von Samiam erinnert. Da vergisst man, dass die Drei erst Mitte zwanzig sind, allerdings machen sie das auch schon seitdem sie dreizehn sind. Ach ja, irgendwie zu gut, um wahr zu sein. Im September sind die Jungs wieder mit ihrem Bulli unterwegs durch die mittleren und größeren Orte dieser Republik. Geht hin und schreibt mal an Midsummer, wo die eigentlich ihre Trüffelschweine aufzüchten.
VÖ: 08.September 2017, Midsummer Records, http://www.for-them-all.com/
Ohr d’Oeuvre: Every Night/ Ferment/ Dolor Fantasma
Gesamteindruck: 8,5/10
Tracklist: Dolor Fantasma/ Every Night/ Listen/ Shiver/ Ferment/ Fade Away
(pd)
Motorpsycho – The Tower
Ein Grund für die überdurchschnittliche Produktivität von Motorpsycho liegt wahrscheinlich in den langen Wintern von Trondheim. Es ist schon ungewöhnlich, dass eine Band im 28. Jahr ihres Bestehens im regelmäßigen Turnus von gefühlt 18 Monaten ein neues Album fertig stellt. Aktuell überrascht es umso mehr, da Bassist Bent Saether und Gitarrist Hans Magnus Ryan mit dem Ausstieg von Kenneth Kapstad, der seinen Fokus jetzt auf Spidergawd legt, eine grosse Lücke füllen mussten.
Schon beim ersten Hören stellt sich eine Selbstschamempfindung ein, überhaupt auch nur einen Gedanken daran verschwendet zu haben, dass der Ausstieg nicht kompensiert werden kann. War Kapstadt doch prägend für die stilistische Weiterentwicklung der Band. Unbeeindruckt davon haben Saether und Ryan ein Album veröffentlicht, das am passendsten mit einem Adjektiv zusammengefasst werden kann: Episch.
Es wurzelt tief im psychedelischen Hardrock und bedient sich aller Elemente, für die Motorpsycho seit Jahren bekannt sind. Rockig, verzerrte eingängige Gitarrenriffs, druckvolle Bassläufe und ein Schlagzeugspiel, was den Rahmen für Songstrukturen mit vielen Tempiwechseln und Improvisationen bildet. Dieser Spannungsbogen aus Gitarre, Bass und Schlagzeug wird, wenn es das Songwriting erlaubt, durch Bläser-, Flötensequenzen oder einem Chor unterlegt. Es macht mit zunehmender Dauer immer mehr Spaß, die kleinen Feinheiten von THE TOWER herauszuhören. Der Motorpsychofirme Hörer wird in den 10 Stücken Zitate und Querverweise zu alten Alben wiederfinden. Wer nur rudimentär eine Affinität zu Hardrock und psychedelischen Songs hat, sollte sich Zeit nehmen, um THE TOWER auf sich wirken zu lassen. Neben den brettharten Stücken finden sich auf dieser Platte ruhige Balladen, sowie Songs, die sich langsam aber stetig fortentwickeln, sich vor dem Hörer wie die bildliche Tsunamiwelle auftürmen, um ihn schlussendlich wegzureißen.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der Ausstieg Kapstadts wenig Einfluss auf die Qualität des vorliegenden Albums hat. Die Stücke wirken vielmehr variabler, als noch auf den letzten Alben. Die schon erwähnten musikalischen Referenzen beziehen sich am ehesten auf den Klassiker TIMOTHY´S MONSTER, LET THEM EAT CAKE und die BARRACUDA-EP. Aber – und das ist ebenso beruhigend wie auch erleichternd – THE TOWER wirkt wenig wie ein Aufguss der alten Stücke. Saether und Ryan scheinen ihren kongenialen, kleinsten gemeinsamen Nenner wieder einmal gefunden zu haben und können diesen exzessiv ausleben, ohne die berechtigten Ansprüche eines dritten zu beschneiden. Als Anspieltipps von THE TOWER sind neben „Ship of Foals“, definitiv „Bartok oft he Universe“, „A.S.F.E.“ und „The Maypole“ zu empfehlen.
VÖ: 08. September 2017, Stickman Records – http://www.motorpsycho.no
Ohr d’Oeuvre: Bartok oft he Universe/ A.S.F.E./ The Maypole/ Ship of Foals
Gesamteindruck: 8,5/10
Tracklist: The Tower/ Bartok oft he Universe/ A.S.F.E./ Intrepid Explorer/ Stardust/ In Every Deam Home (There´s a Dream of Something Else)/ The Maypole/ A Pacific Sonata/ The Cuckoo/ Ship of Fools
(kof)