Fans der mittlerweile aufgelösten Sleater-Kinney, der längst verblassten Riot-Grrrl-Bewegung oder aber auch einfach guter Rockmusik freuen sich schon lange auf diesen Abend: Wild Flag, die neue „Supergroup“ bestehend aus den gestandenen Musikerinnen Carrie Brownstein, Janet Weiss (beide von ebendiesen Sleater-Kinney), Mary Timony (ehemals Helium) und Rebecca Cole (The Minders), spielen erstmals seit der Veröffentlichung ihres großartigen Debütalbums in Berlin.
Als lokalen Support haben Wild Flag das Trio Imago im Schlepptau. Offiziell besteht die Band zwar erst seit drei Jahren, doch musizieren Sänger und Gitarrist Bast, Bassist Nico und Schlagzeugerin Melina schon viel länger miteinander. Unter dem Projektnamen Still Born produzierten sie drei Alben und gaben diesen jeweils einen Titel, der den Entwicklungsstand der Band auf der Suche nach ihrem eigenen Sound wiedergeben sollte. Nach LARVA und COCOON entstand somit letztlich IMAGO, was in der Zoologie das erwachsene geschlechtsreife Insekt nach der Verpuppung oder der letzten Häutung bezeichnet.
Dass auf der Bühne eine bestens aufeinander eingestimmte Maschine unterwegs ist, wird den meisten Zuschauern im zu diesem Zeitpunkt noch recht spärlich gefüllten Lido schnell klar. Die Lieder Imagos bewegen sich irgendwo zwischen Hardrock, ausufernden, progressiven Klängen aus den Siebzigern und nicht zuletzt den Metal-beeinflussten Ecken des Seattle-Grunge. So hört man beispielsweise bei den eingängigeren Stücken ein bisschen Soundgarden heraus. Gerne verlieren sich Imago, allen voran Bast, in allerlei Soundsperenzien – so greift der Gitarrist beispielsweise auch mal zum Cellobogen. Doch wirkt alles durchaus durchdacht und genau geplant – dem Zufall überlassen Imago nichts bei ihrem durchaus gelungenen 35-minütigen Auftritt.
Nach einer halbstündigen Umbaupause ist dann endlich der große Moment gekommen, auf den die mittlerweile rund 500 Berliner im nun bestens gefüllten Lido warten: Wild Flag betreten die Bühne und legen gleich furios los. Bevor sie sich überhaupt den Fans vorstellen und sich – fast schon obligatorisch bei Berlin-Konzerten – glücklich schätzen, in der Bundeshauptstadt spielen zu dürfen, hat die Band bereits drei Kracher aus dem selbstbetitelten Debütalbum abgearbeitet. So mischt sich zu der überschwänglichen Freude über das auch im Liveformat sehr radiotauglich-poppig daherkommende „Electric Band“ schon die Befürchtung, dass das Konzert schon bald beendet sein könnte.
Doch weit gefehlt: Das Quartett hat seit der Veröffentlichung bereits einige neue Stücke geschrieben und präsentiert drei davon im Laufe des rund 70-minütigen Auftritts. Diese reihen sich nahtlos an die von den Zuschauern bereits liebgewonnenen Albumtracks und lassen keinen Bruch entstehen. Auch die unbändige Spielfreude der Band erscheint zum Greifen nah: Die Frontfrauen Carrie Brownstein und Mary Timony, die sich von Lied zu Lied mit dem Gesang abwechseln, duellieren sich des Öfteren an ihren Gitarren. Und bei Keyboarderin Rebecca Cole hat man ständig die Besorgnis, dass ihr Instrument nach vorne umkippen würde, so beherzt hämmert sie in die Tasten. Beim psychedelischen „Glass Tambourine“ und auch der ersten Single „Romance“, dem abschließenden Song vor den Zugaben, arten Wild Flag gar in mehrminütiges Instrumentalgeschrammel aus – nebst Rockstargehabe wie das Gitarre-in-die-Luft-halten. Das alles funktioniert wunderbar, obwohl die Band komplett auf einen Bass verzichtet. Als Surrogat hierfür dient in erster Linie das grandiose Keyboardspiel Coles, das den Popsongs des Quartetts auch live die nötige Tiefe verpasst, um sich von den Konkurrenz deutlich abzuheben.
Unter großem Jubel wird die Band aus der Musikmetropole Portland von der Bühne verabschiedet, unter noch größerem Beifall kehrt sie wenig später zurück und spielt noch zwei Coverversionen als „Rausschmeißer“. Das schmissige Rock’n’Roll-Cover „Do You Wanna Dance“ – im Original von Bobby Freeman, aber besser bekannt in der Version der Ramones – bildet letztlich einen perfekten Abschluss eines Konzerts, das viele Menschen mit leuchtenden Augen und offenen Mündern in die kalte Berliner Nacht entlässt.
Bilder vom Konzert; Fotograf: Sascha K.
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