Jedes Mal, wenn die Festivalwelt auf den alten Flughafen Berlin-Tempelhof schaut, ist eines klar: die Festivalsaison nähert sich mit großen Schritten ihrem Ende. Das Berlin Festival stellt auch diesmal wieder eines der letzten großen Festivals des Jahres – und der Eklat des Jahres 2010, als das Programm des ersten Festivaltages auf Anordnung der Polizei vorzeitig und unfreiwillig beendet werden musste, ist längst vergessen und das Gelände entsprechend umgestaltet, dass es nicht noch einmal zu nicht mehr überschaubaren Zuschaueransammlungen an den Eingangsbereichen der Hangars kommen kann.
Tag 1
Es ist ein Festival der Zweiteilung: Das typische Festivalprogramm auf der Mainstage, das weitaus spannendere Indie- und Elektro-Programm auf den Nebenbühnen. Wie schon James Blake 2011, begrüßt auch 2012 der eröffnende Freitag zu früher Nachmittagsstunde seine Besucher mit zwei Shooting Stars des Jahres. Soul-Barde Michael Kiwanuka und die fröhlichen Isländer von Of Monsters And Men geben auf der Main Stage den eigentlichen Startschuß für zwei Tage Action in Tempelhof. Zwei Tage, in denen sich etliche Besucher einen Zeitumkehrer wünschen, wie ihn Hermine Granger in Harry Potter und Der Gefangene von Askaban benutzt, um die Zeit zurück zu drehen. Schließlich liegen doch zu viele attraktive Bands auf den vier Festivalbühnen parallel zueinander. Schon nach nicht mal vier Stunden Festivalprogramm das erste Problem: Little Dragon, Kate Nash oder We Have Band auf Main Stage, Hangar 4 und Hangar 5? Die einzige Antwort: Ein Teil des Einen und ein Teil des Anderen. Also zuerst die schwedische Kombo Little Dragon auf der Hauptbühne, ein wenig verloren und bei reservierter Stimmung in den Zuschauerrängen, danach deutlich mehr aktiver Publikumszuspruch bei den Briten von We Have Band in Hangar 5, die nicht nur mit ihrem bekanntesten Song „Oh!“ für entsprechende Stimmung bei den Festivalgängern sorgen.
Pünktlich zu Tocotronic auf der Main Stage, die sich selbstverständlich zeitlich mit We Have Band überschneiden, beginnt der erste Regenschauer des Tages. Dirk von Lowtzow & Co. spielen dessen ungeachtet ein erwartet routiniertes Programm und ernten erwartet routinierte Begeisterung. Begeisterung, die sich vor allem auf bekannte Hits wie „This Boy is Tocotronic“ bezieht, ohne wirkliche Ausgelassenheit zu produzieren. Dafür zuständig sind schließlich die Krawallbrüder von Frittenbude, die samt überdimensionierten Pandabären, Delfinen und Hamstern auf der Bühne die Menge im Hangar 5 zum Kochen und kollektiven Freudentaumel bringen. Auch wenn ihr aktuelles Album eine Tendenz hin zum klassischen Indierock zeigt, sind es vor allem die bollernden Technostampfer wie „Raveland“, zu denen die alkoholgeschwängerte Menge am Meisten feiert. Von dieser Stimmung profitieren anschließend auch Miike Snow, die in einer futuristischen Bühnendeko ein hervorragendes Set auf die Bretter bringen und die Stimmung weiterhin hoch halten, vor allem mit Songs wie „Paddling Out“ und selbstverständlich dem Gassenhauer „Animal“.
Parallel auf der Hauptbühne das Kontrastprogramm: Romantische Stimmung bei Dunkelheit, Kerzenschein und Nieselregen mit Sigur Ros. Ihr neues Album VALTARI, vor knapp vier Monaten erschienen, ist einer der Hauptgründe, warum die Isländer sich hier auf dem Berlin Festival zwischen so vielen anderen Bands tummeln, die mitunter in krassem Widerspruch zu den getragenen Songs der vierköpfigen Kombo aus Reykjavik stehen.
So nicht nur die Festival-Headliner The Killers, die eine opulente Lightshow und jede Menge Singalong-Festivalprogramm abfeuern, ohne wirklich zu überraschen. Es wird immer wieder kräftig mitgesungen, aber kaum wirklich gefeiert. Aber das war so auch nicht unbedingt zu erwarten, schließlich muss ja vor allem das wenige Tage später erscheinende neue Album beworben werden.
Weit weniger Rücksicht auf Verluste legen Major Lazer parallel im Hangar 5. Begleitet von diversen Aufblastierchen, Leuchtstäben, Lasershow (na klar) und einem überdimensionierten, aufgeblasenen Ballon mit Mensch darin, reißen Diplo und seine Spießgesellen sprichwörtlich den Hangar ab. War bei Frittenbude circa drei Stunden vorher noch ordentlich Remmidemmi, ist nun richtiger Krawall angesagt, bei dem kein Auge trockenbleibt. Die richtige Einstimmung, um anschließend in der Arena Xberg – mit idyllischem Strandbereich und direkt an der Spree gelegen – noch bei Metronomy, When Saints Go Machine oder den Crookers bis in die frühen Morgenstunden weiterzufeiern. Oder um direkt ins Bett zu gehen, schließlich hat der folgende Tag auch noch einiges zu bieten.
Tag 2
So wie Cro, Mainstream-Hiphop-Liebling, der zu diesem Zeitpunkt eine ausgedehnte Festivaltour auf dem Buckel hat und mit dem erneut ein Shooting Star bereits am frühen Nachmittag spielt. Und anschließend mit Django Django eine Band, die in ihrer britischen Heimat erst unlängst für den renommierten NME Mercury Prize nominiert wurde.
Diesmal fällt die Auswahl noch etwas schwerer, der Wunsch nach eingangs erwähntem Zeitumkehrer ist noch größer: spielten die Acts am Freitag noch alle leicht zeitversetzt, sind die Spielzeiten in den Hangars nun komplett parallel gelegt. Und wieder steht der Besucher vor der Entscheidung: Kimbra oder I Heart Sharks, First Aid Kit oder Whomadewho, Sizarr oder Friendly Fires? Auf jeden Fall erstmal Bonaparte. Die Patchwork-Halunken dürfen bei ihrem quasi-Heimspiel (Teile der Band stammen aus Berlin) auf der Hauptbühne ran, haben – Wunder oh Wunder – ein neues Album im Gepäch und sorgen mit ihrer verrückten und mitunter auch leicht sexistischen Bühnenshow wie üblich für richtig Stimmung bei den Zuschauern, die diesmal sogar komplett ohne Regen auskommen dürfen. Dass auch die Dänen von Whomadewho im gut gefüllten Hangar 5 für gute Laune sorgen werden, war schon im vorhinein klar, gilt das Trio um Jeppe Kjellberg und Tomas Hoffding doch als richtige Rampensau. Noch eine Schippe drauf legen anschließend Friendly Fires mit Frontmann Ed McFarlane, der sich erwarteterweise vollkommen verausgabt und die Zuschauer nicht nur mit seiner mitreißenden Art zum ausgelassenen Feiern animiert. Kaum weniger ausgelassen geht es parallel auf der Hauptbühne bei den sympathischen Chemnitzer Jungs von Kraftklub zu, allesamt mittlerweile erfahrene Bühnenkräfte und dank Gassenhauern wie „Ich will nicht nach Berlin“, „Songs für Liam“ oder „Eure Mädchen“ und den verschmitzten Kommentaren von Sänger Felix Kummer absolute Gute-Laune-Garanten.
Klassisches Festivalprogramm dann wieder bei Franz Ferdinand. Und wieder: routinierte Show der Schotten, auf deren viertes Studioalbum immer noch weltweit gewartet wird. Aber es sind mal wieder fast ausschließlich die Hits, die für Stimmung sorgen: „Take me out“ wird frenetisch bejubelt, natürlich. Ansonsten: höfliche Begeisterung und Bespaßt-mich-feeling mit seltenen richtigen Highlights.
Dass Lokalmatador Paul Kalkbrenner die Menge da schon eher zu Jubelexzessen würde verleiten können, ist schon im Vorfeld klar. Ganze anderthalb Stunden sind veranlagt für den Berliner Technostar, die dieser mit zwei Alben, neuem Material eines in wenigen Wochen erscheinenden neuen Werkes und diversen Remixen zu füllen weiß. Dass den feiernden Fans zwischendurch ein wenig die Luft ausgeht, scheint in der Natur der Sache zu liegen, verzichtet Kalkbrenner doch bis auf wenige gefeierte Ausnahmen („Sky and Sand“ und „La Mezcla“) komplett auf Vocals in seinen Produktionen. Dennoch kann es eigentlich nur ihn geben, der den offiziellen Teil des Berlin Festivals 2012 in Tempelhof beendet.
Wer dann noch per Shuttlebus den Weg zur Arena Xberg findet, erlebt eine Überraschung, wie es eigentlich nur ein Festival bescheren kann: unter dem Projektnamen „Mostly Robots“ stehen plötzlich Jamie Lidell und drei Mitstreiter auf der Bühne, die seine, aber auch fremde Songs auf wildeste Art Live auf der Bühne remixen. Ein Projekt mit Unterstützung des Equipmentherstellers Native Instruments, aber was für eines.
Um anschließend die Zeit bis zu den gefeierten Modeselektor (Local Heroes, na klar) zu überbrücken, steht ein Besuch im nebenan beheimateten Glashaus bei der charismatischen Shannon Funchess alias Light Asylum an. Zu den schwer drückenden New Wave-Klängen passt die dunkle, durchdringende Stimme der an Grace Jones erinnernden Sängerin extrem gut und versetzt so manchen Zuschauer in eine Art musikalische Trance. Eigentlich die besten Voraussetzungen für die nicht minder harten Techno- und Elektroklänge von Modeselektor, die ein umjubeltes Set spielen und somit dem letzten Festivaltag noch einmal ein richtiges i-Tüpfelchen aufsetzen, das sich für manche Zuschauer noch bis sechs Uhr morgens und mit Highlights wie The Enormous Extinct Dinosaurs, Slagsmalsklubben und Simian Mobile Disco weiterzieht.
Gute Nacht, Berlin. Bis nächstes Jahr.
Fotos vom Festival; Fotografin: Julia Fritsche
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