Boston Manor – Be Nothing
Im Vereinigten Königreich scheint Pop-Punk im Moment DAS große Ding zu sein. Nachdem Moose Blood mit ihrem neuen Album BLUSH in die Top Ten der UK Charts eingestiegen sind und sowohl auf der Insel als auch in Kontinentaleuropa sämtliche Hallen auf der Tour ausverkauft haben, stehen nun ihre Freunde und Tourkollegen von Boston Manor in den Startlöchern, um es ihnen gleich zu tun.
Dabei stehen die Vorzeichen für einen ähnlich großen Erfolg gut. Konzerte müssen in größere Venues verlegt werden und die ersten Chartplazierungen sind mit ihrem Debutalbum BE NOTHING auch bereits eingefahren. Dabei machen es sich die Mannen aus Blackpool im Nordwesten Englands relativ einfach. Statt sich auf ihre Stärken zu besinnen, die sie auf den EP’s HERE/NOW (2013), DRIFTWOOD (2014) und SAUDADE (2015) angedeutet haben, gehen sie den leichten Weg und präsentieren ein von Neil Kennedy (u.a. More than Life) etwas überproduziertes Pop-Punk Album ohne Ecken und Kanten. War es auf den EP’s noch das Rauhe, das manchmal leicht Rotzige, das den Reiz von Boston Manor ausmachte, gehen sie auf BE NOTHING auf Nummer sicher und liefern durchaus eingängige Punk-Pop Songs ab, die aber leider recht schnell an die Grenzen ihrer Halbwertszeit kommen. Eine deutlichere Abgrenzung von ihren Vorbildern Moose Blood, ein stärkeres Besinnen auf die eigenen Stärken und vor allem eine stärkere Fokussierung auf ihre Alleinstellungsmerkmale hätte dem Album gut getan. So bleibt ein gutes Album, von dem jedoch auf Dauer nicht viel beim Hörer hängen bleiben wird.
VÖ: 30.09.2016, Pure Noise Records, https://www.facebook.com/bostonmanoruk/
Ohr d’Oeuvre: Stop Trying, Be Nothing
Gesamteindruck: 6,0/10
Tracklist: Burn You Up/ Lead Feet/ Laika/ Cu/ Broken Glass/ Kill Your Conscience/ Forget Me Not/ This Song Is Dedicated To Nobody/ Stop Trying, Be Nothing/ Fossa
Jimmy Eat World – Integrity Blues
Mit INTEGRITY BLUES haben Jimmy Eat World in diesem Herbst ihr neuntes Studioalbum vorgelegt. Nach dem letzten Album DAMAGE tourte die Band lange und nahm sich im Anschluss eine Auszeit. Mit CLARITY und BLEED AMERICAN, die auch heute noch immer wieder gerne aus dem Plattenregal geholt werden, haben sie Meilensteine gesetzt und wurden zu Emo-Ikonen der ausgehenden 90‘er. Mit den folgenden Alben konnten sie nicht immer die Erwartungen ihrer Fans erfüllen, erspielten sich jedoch andererseits neue Zuhörer. Schaffen sie es mit der neuen Platte die oftmals äußerst kritischen Fans der erste Stunde zu versöhnen?
Jim Adkins und seine Mitstreiter enttäuschen mit dem Album nicht und liefern ein astreines Jimmy Eat World-Album ab – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Arrangements und Strukturen der Songs verleugnen nicht ihren Ursprung, die Gitarren, die Instrumentierung und der Gesang sind dem Hörer wohl bekannt. In ihrer Art erinnern sie an die Theke der Stammkneipe, wo Mensch gerne aufschlägt, um den Alltagsstress hinter sich zu lassen und sein Lieblingsgetränk zu konsumieren, damit abgeschaltet, der Tag ad acta gelegt wird und Platz für neue Gedanken geschaffen wird. Die Band schafft es für den Zuhörer diese Wohlfühlatmosphäre zu kreieren, wo er gerne verweilt, zur Ruhe kommt und bei wohl bekanntem in positiven Erinnerungen schwelgt.
Dieses Gefühl wird durch einige Stücke auf dem Album forciert. „Sure and Certain“ erinnert an einen alten Bekannten, mit dem man gute Zeiten verlebt hat. Mit „Get Right“ und „The End is Beautiful“ wird beim Zuhörer, der die Band schon lange kennt, ein ähnliches Gefühl hervorgerufen – der Song erfüllt alle JEW-Charakteristika und ist ein eingängiger Popsong
Zusammenfassend ist INTEGRITY BLUES ein Album mit dem sich Jimmy Eat World treu bleiben. Verschiedene Generationen von Hörern erhalten einen Zugang zu den Stücken und es bildet für die Jüngeren eine Brücke, um die Frühwerke kennen und lieben zu lernen. Die alten JEW Fans werden wieder nicht ganz zufrieden sein, wie auch, wenn die Meßlatte mit STATIC PREVAILS, CLARITY und BLEED AMERICAN nahezu unerreichbar hoch liegt.
VÖ: 21.10.2016; Excotic Recording Records; http://www.jimmyeatworld.com/
Ohr d’euvres: Sure and Certain/ Get right/ The End is Beautiful.
Gesamteindruck: 7/10
Tracklist: You With Me /Sure and Certain /It Matters /Pretty Grids /Pass The Baby / Get Right /You Are Free /The End is Beautiful /Through /Integrity Blues /Pol Rogers
Friends of Gas – Fatal schwach
Die Hypemaschinerie im Musikblätterwald läuft schon heiß. Friends of Gas sind atmosphärischer Noiserock, dessen Wirbelsturm auf FATAL SCHWACH seine Mitte in der Stimme von Nina Walser findet.
Max Rieger, Teil der Nerven, Soundbastler von All diese Gewalt, entwickelt sich langsam zur grauen Eminenz der süddeutschen Noise- und Indierockszene. Friends of Gas sind das neue Pflänzchen in seinem Klangwald. Die Band, um die ausdrucksstarke Röhrenstimme von Sängerin Nina Walser, hätte genauso gut vor 30 Jahren auf SST erscheinen können. Ein Sound zwischen den frühen Sonic Youth, The Fireman und dem Noise von McClusky oder den späten Jesus Lizard. Feinsinnige Melodien werden abgelöst von Noiseausbrüchen, Bassparts mäandrieren durch den Raum und loten diesen zugleich aus. Ein atmosphärisches Album, was seine Einzigartigkeit allerdings durch die Stimme Walsers bekommt, die sich bereits beim ersten Hören bei Songs wie „Kollektives Träumen“ oder dem zurückhaltenden „Ivoluntary“ in den Kopf gräbt. Ihre Wut, ihre Verzweiflung sind zum greifen nahe. Wobei interessant ist, dass die Stimme bei den deutschsprachigen Songs durch ihre Direktheit dem dichten Sound entgegenläuft, ihn förmlich zerschneidet, während sie sich bei den englischsprachigen Songs in die Soundwand einfügt. So bleibt man als Hörer bei FATAL SCHWACH ein wenig gespalten zurück – auch weil das Album zwischen Kompromisslosigkeit und Anpassung hin und her schwankt ohne sich entscheiden zu können. Für Freunde der Nerven oder Karies auf jeden Fall – gerade wegen der weiblichen Note – dringend empfehlenswert.
VÖ: 28.10.2016, Staatsakt, http://friendsofgas.tumblr.com/
Ohr d’Oeuvre: Ivoluntary / Kollektives Träumen/ Template
Gesamteindruck: 7,0/10
Tracklist: Template/ Ewiges Haus/ Ivoluntary/ Kollektives Träumen/ Saurer Schnee/ Einknick/ Teeth
V.A. – FALSCHER ORT FALSCHE ZEIT (Vol. 2 Mod & Underground Pop from Germany,Austria & Switzerland 1980-1993)
Tapete Records unternimmt einen weiteren charmanten Einblick in die deutsche Indierockszene der 1980’er und frühen 1990’er. FALSCHER ORT FALSCHE ZEIT gibt einen Einblick in die Szene am Vorabend der Hamburger Schule, als man zwischen britischen Epigonentum und der deutschen Sprache, einen eigenen Sound suchte.
Die 1980’er waren ein relativ merkwürdiges Jahrzehnt. Über die Frisurenmode muss man nicht reden, denkt man an den Mainstreampop erfasst einen immer noch das Grauen und doch war es eigentlich das goldene Jahrzehnt der Indiemusik, bevor diese im Zuge des Grungehypes Anfang der 90’ger in den Mainstream gespült wurde. Bezogen auf Deutschland war dieser Nirvanamoment die aufkommende Hamburger Schule Bewegung und vor allem die Veröffentlichung des ersten Tocotronic Albums. Allerdings fröhnten bereits vorher in den 1980’ern Indiegitarrenbands zwischen Flensburg und Bern den englischen Mod- und Punksounds, wobei das außergwöhnliche war, dass sie sich einer deutschen Sprache bedienten, die sich jenseits der Albernheit der neuen deutschen Welle und dem gescheiterten Outlawtum eines Lindenberg bewegte. Tapete Records, dieses kleine Labeljuwel aus Hamburg, hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Bands aus dem Schatten der Vergessenheit zu reißen. So versammelt der zweite Teil der Serie FALSCHER ORT FALSCHE ZEIT wieder 17 Songs, die zwischen Partykellerrecording und Pubertätsverzweiflung pendeln. Musikalisch orientieren sich die meisten der Bands nah an den englischen Vorbildern wie The Jam, den Undertones oder The Who. Einige Beiträge wirken dabei wie 1:1 Kopien der britischen Vorbilder, während sie sich sprachlich zwischen holpernden Teeniephantasien und der stoischen Ironie der aufkommenden Punkbewegung bewegen. Was die Texte dabei von den oben genannten deutschsprachigen Ansätzen abhebt, ist die konkretere Verortung und Benennung der eigenen Erfahrungswelt in Kleinstadt und Partykeller. Ein Ansatz, den Tocotronic Jahre später zu einer eigenen Jugendsprache übersetzt haben. Von der Produktion wirkt vieles wie Homerecording, wobei der Sound durch das Re-Mastering jederzeit hörbar ist. Beeindruckend ist die pure Energie und der ganz eigene Charme, den diese DIY – Geschichten entwickeln, wie der Kniefall von Stunde X vor Martin Semmelrogge, der Unglaube an den Boy vom fremden Stern durch die Painting by Numbers. Tapete Records schließt mit dem Sampler die Lücke zwischen Lindenberg in den 1970’ern und der Hamburger Schule in den 1990’ern. Ein interessanter Einblick in eine untergegangene, analoge Welt zwischen Clerasil, Gelsenkirchener Barock und der Hitparade.
VÖ: 18.11.2016, Tapete Records,http://www.tapeterecords.de/artists/va-falscher-ort-falsche-zeit/
Ohr d’Oeuvre: Stunde X – Befreit Martin Semmelrogge/ Die Antwort – Gibt es einen guten Grund/ Der Start – Angst vor dir selbst
Gesamteindruck: 6,5/10
Tracklist: Die Tanzenden Herzen – Bist zu bereit?/ Die Profis – Mit Pauken und Trompeten/ Jetzt! – Kommst du mit in den Alltag?/ Die Antwort – Gibt es einen guten Grund/ Family 5 – Der Schaum der Tage/ The Gents – Kein Ersatz/ Painting by Numbers – Fremder Stern/ Die Time Twisters – Was weiß Yvonne/ Stunde X – Befreit Martin Semmelrogge/ The What…For! – Rotkarierte Petersilie/ Start! – Ein Schritt zuviel/ Die Elite – Glory Boys/ Tempo – Nie wieder Liebe/ Huah! – Wie funktioniert das?/ Die Aeronauten – Bye Bye/ Der Start – Angst vor dir selbst/ Die Fünf Freunde – Jetzt!
Hey, „Tapete“ ist nicht tapete records. Tapete (offizieller Künstlername) ist ein Berliner Musiker und hat mit dem oben genannten Label nichts am Hut. Siehe tapeteberlin.de (sein Label heißt übrigens RauhfaserRecords^^)
Hallo Frau Ke, vielen Dank für den Hinweis und entschuldigen Sie bitte, das ändern wir. Sehr viele Grüße, JMC