Im Glühweinrausch werden wir noch mal sentimental und fördern mit Tränen in den Augen einige übersehene musikalische Perlen der letzten Monate hervor.
Jo Stöckholzer – Musik
Würde man zuerst die „HuaHua“ – Tim Bendzko – Gedächtnischöre hören, könnte man das Album MUSIK des österreichischen Singer/Songwriters Jo Stöckholzer in die neudeutsche Befindlichkeitspopschule stecken und sich wieder gähnend umdrehen. Aber damit würde man dem Werk nicht gerecht. Zwar findet sich auch hier oft das gute alte Motiv „Bin so allein gelassen, ua,ua, grausam, grausam..“ wieder, aber die Musikalität von MUSIK überrascht dann doch über die ganze Länge des Werkes. Mit konventionellen Singer/Songwriting hat das wenig zu tun. Viel mehr gehen die meisten Werke in souligem Indielektronika auf, welches mithilfe der nuscheligen Stimme Stöckholzers einen ganz eigenen Drive und Charme entwickelt sowie in nahezu allen Songs mit überaschenden Details glänzt. Dazu gesellt sich diese aufgeräumte Art Stöckholzers, die wenig mit dem Poselschem Selbstmitleid zu tun hat, auch wenn es manchmal etwas überdreht wirkt wie in der Pianoballade „Fliegen“. Aber Songs wie das flirrende „Abwechslung“ oder reduziert brüchige „Niemand“ sind gut gemachte Popmusik, die den romantischen Slacker in den meisten ansprechen dürfte.
VÖ: 17.November 2017, Aktiv Sound Records, http://www.jostoeckholzer.com/
Ohr d’Oeuvre: Drehbuch / Eigentlich / Musik
Gesamteindruck: 6,5/10
Löwen am Nordpol – VOM STOCHERN IN DER ASCHE
Löwen am Nordpol! Eigentlich ist es wahrscheinlich Quatsch, Bandnamen zu viel Bedeutung zuzugestehen (abgesehen von den Dimple Minds), allerdings lassen sich in dem Fall der Band aus Berlin schon Querverbindungen zwischen Verpackung und Inhalt herstellen. So haben die Texte doch etwas märchenhaftes, fantasievolles und sind eher realitätsabgewandt, beziehungsweise, versuchen wie in „New York“ oder „Beamt mich up“, dieser ganz zu entfliehen. So spinnen die Drei ein hörenswertes Paralleluniversum auf, aus dem sie manchmal krachend in die Realität abstürzen und jemanden suchen, der ihnen den Kopf von Donald Trump bringt. Musikalisch klingt das alles, als würde ClickClickDecker den Alternative Rock für sich neu entdecken, inklusive Gitarrenbrettern mit Melodieschwang und verzerrten Bässen. Insgesamt überzeugend. Eine charmante, verquerte Stimme, die auf gradlinige Indiepopstrukturen trifft, die aber mit viel Herz und vor allem dem nötigen Drive gespielt werden. Ein naiv-ehrliches Stück Musik, das zwischen Weltraum und Kopfkino hin und herschwappt, von dem man sich gerne mal aus der Realität reißen lässt.
VÖ: 3.November 2017, BRM, VÖ: 17.November 2017, Aktiv Sound Records, https://www.loewenamnordpol.de/
Ohr d’Oeuvre: Kopfkino/ Cobain/ Beamt mich up
Gesamteindruck: 7,0/10
Übergang – Zeichen der Zeit
Hardcore mit metallischem Kern ist ja immer so eine Sache. Entweder die Bands scheitern daran, ihre Versprechen musikalisch und handwerklich umzusetzen, oder handwerklich ist alles sauber, aber insgesamt bleiben die Strukturen und Riffs eher vorhersehbar. Wenn man allerdings vor Veröffentlichung der Debütplatte schon ein zweiseitiges Interview im OX hatte und mit Agnostic Front und Napalm Death auf der Bühne stand, kann man eigentlich nicht so viel falsch gemacht haben und sollte es vor allem handwerklich drauf haben. Und das haben Übergang. Ein derber und metallener Hardcore Mix mit deutlichen Thrash- und Speedmetal – Einflüssen, ab und zu ausgebremst durch Crossovereinschläge. Das macht die Band so dynamisch und auf den Punkt, dass man die Nackenschmerzen beim Durchhören von ZEICHEN DER ZEIT einkalkulieren muss und worin sich eine scheinbar, manisch anmutende Probelust widerspiegelt. Darüber legen sich die heraus geschrienen, deutschsprachigen Texte von Sänger Cliff Nastii, die teils plakativ, teils metaphorisch die Musik ins richtige Licht setzen, dankbar das davonpreschende Schlagzeug einsaugen und den Songs nochmal eine Extrabeschleunigung geben. Düster, aber allzeit kampfbereit schmeißt er der Welt seine Lyrics entgegen, wenn es auch an einigen Stellen, textlich vielleicht etwas zu thrashig wird wie in „Monster“. Man muss sich anfangs etwas einhören in das höhenlastige Geschrei, aber spätestens beim dritten Song „Kampfherz“ hat man dies und kann sich dem Trashgewitter hingeben. Mit ZEICHEN DER ZEIT setzen Übergang ein starkes Ausrufezeichen und überzeugen mit handwerklich gut gemachten und leidenschaftlichen Metal HC.
VÖ: 24.November 2017, DEMONS RUN AMOK Records, https://de-de.facebook.com/uebergang.de/
Ohr d’Oeuvre: Jedes Wort / Illusion/ Kampfherz
Gesamteindruck: 6,5/10