Das zweite Album soll ja bekanntlich das Schwerste sein. Anders als mit seinen vorherigen Bands, Escapado und Frau Potz, hat sich Felix Schönfuss nun mit Adam Angst dieser Herausforderung doch noch angenommen. Doch wiederum anders als beim Adam Angst-Debüt, das noch als Solo-Projekt von Schönfuss seine Form annahm, steht hinter NEINTOLOGY die ganze Band. Das macht schon das Albumcover deutlich, auf dem diesmal nicht Schönfuss allein zu sehen ist, sondern zusammen mit seinen Bandkollegen Roman Hartmann (Gitarre), David Frings (Gitarre), Christian Kruse (Bass) und Johannes Koster (Drums).
Dass es sich auf das Songwriting auswirkt, wenn nicht mehr nur ein Kopf darüber brütet, sondern ganze fünf ist wohl klar. Dass es wieder empörte Kommentare in den Sozialen Netzwerken geben wird, dass NEINTOLOGY „ja gar nicht mehr nach Adam Angst” klinge, ist somit schonmal vorprogrammiert. Doch mal abgesehen von diesen Spezialistenmeinungen (geht mal „Punk” hören) ist NEINTOLOGY ein ziemlich gelungenes zweites Album. Und zwar aus ganz vielen Gründen.
Einer davon ist sicherlich, dass Adam Angst nichts auf festgefahrene Genre-Grenzen geben, was sie in „Punk” selbst kritisch thematisieren. Vielmehr lassen sie ganz unterschiedliche Einflüsse zu, von harten und treibenden Gitarrenriffs („D.I.N.N.”) über orientalische Klänge („Alle sprechen Deutsch”) bis hin zur zerbrechlichen Rockballade „Damit ich schlafen kann”. Ebenso vielfältig sind die Themenbereiche, die Schönfuss in den Lyrics anspricht – die wohl größte Stärke des Albums. Es geht um rechte Ideologien, die nach 70 Jahren wieder in den deutschen Bundestag eingezogen sind („D.I.N.N., kurz für „Dich Immer Nazi Nennen”), Depressionen und den gesellschaftlichen (Nicht-)Umgang mit psychischen Erkrankungen („Damit ich schlafen kann”), Materialismus-Wahn („Kriegsgebiet”), Eskapismus („Blase aus Beton”) sowie um Homo-/Transphobie und die Gender-Debatte („Alphatier”). So zeichnet Schönfuss wie schon auf dem Debüt wieder ein präzises Bild der aktuellen gesellschaftlichen Zustände und schafft es sprachlich bei allen thematisierten Problemen, genau ins Schwarze zu treffen.
Auffällig ist, dass sich die vor Ironie triefenden Zeilen vom Debüt in zum Teil sehr düstere Bilder gewandelt haben, zum Beispiel: „Der erste Tote lag im Graben und daneben sein Gehirn” („Immer noch”). Besonders deutlich wird das beim Vergleich von den „Professoren” mit „D.I.N.N.”. Es ist aber nunmal auch so, dass sich die Dinge seit 2015 nochmal deutlich verschlimmert haben. Und genau das spiegelt auch die Wortwahl wider. Bei dem Gedanken, dass die Nazis mittlerweile im Bundestag sitzen, bleibt einem das Lachen sowieso im Hals stecken. Der 2015 noch gut funktionierende ironische Umgang damit wäre da wohl mittlerweile eher weniger angebracht. Haltung zeigen ist 2018 wichtiger geworden, als noch drei Jahre zuvor. Und genau das tun Adam Angst konsequent. NEINTOLOGY sagt nicht nur inhaltlich NEIN zu Grenzen, sondern eben auch musikalisch.
VÖ: 28.09.2018, Grand Hotel van Cleef, http://www.ghvc.de/index.php?id=adamangst
Ohr d’Oeuvre: Damit ich schlafen kann/ Alphatier/ D.I.N.N.
Gesamteindruck: 9/10
Tracklist: Der Beginn von etwas ganz Großem/ Punk/ Alexa/ Blase aus Beton/ Alle sprechen deutsch/ Damit ich schlafen kann/ Kriegsgebiet/ Immer noch/ Alphatier/ D.I.N.N./ Physik