Bielefeld konnte so prägend sein. Kollege Jacobi hat dort lange Zeit gelebt, studiert und sich auf das Leben vorbereitet. Die Stadt, das wurde mir bei vielen Besuchen bei ihm zur Studienzeit klar, hat irgendetwas auf Musiker ausgestrahlt. Daher hatte ich das große Glück einige außergewöhnliche Shows vor Ort zu sehen. Von besonderer Bedeutung und mit Nachwirkungen bis zum heutigen Tag war aber eine Show von Motorpsycho, die Ende der 1990er im Forum spielten.
Die nachhaltige Bedeutung des Abends, den Herr Jacobi und ich eigentlich unter der Prämisse „lieber Live-Musik als eine Stubbie-Kiste Herforder“ geplant hatten, war mir nicht klar, bis wir das Forum betraten. Nachdem das obligatorische Bier an der Theke gekauft war, betraten in meiner Erinnerung 3 Typen die Bühne, entschuldigten den Ausfall der Vorband, erwähnten, dass sie länger spielen könnten, und fingen an. Was dann kam lässt sich nur mit einem Wort zusammenfassen – Vollhammer. An diesem Abend blieb mir die Spucke weg. Wie paralysiert verfolgte ich das gesamte Konzert. Selten habe ich Motorpsycho danach wieder so intensiv wahrgenommen. Sie haben an dem Abend alles, was die Band ausmacht, in die Waagschale geworfen. Brachiales Soundbrett mit extremst jazziger Improvisation, straighte Rocksongs, Gitarrenriffs von Hans Magnus Ryan mit Effekten, die durch Mark und Bein gingen, getragen durch das Zusammenspiel von Hakon Gebhardt am Schlagzeug und Bent Saether am Bass, erschufen Soundwände, die ich bis dahin in der Form noch nie gehört hatte. Diese Spielfreude der Band bestimmte den Abend und sie waren einfach so perfekt aufeinander abgestimmte, dass jeder aus der Band genau wusste, was der andere macht. Das Konzert endete weit nach Mitternacht. Im Nachgang wurde – trotz des geringem Studentenbudgets – der Merchandise-Stand aufgesucht.
Dort erstand ich das Album TRUST US, zu dessen VÖ das Konzert im Forum bei der Tour gespielt wurde. Es wurde in den folgenden Wochen in Dauerwiederholung gehört. „Hey, Jane“ und „Vortex Surfer“ sind für mich Songs, mit denen ich wahrscheinlich im Altenheim noch die Mitbewohner nerven werde. „Ozone“, „Ocean in her eyes“ und „Superstooge“ werden nicht minder gerne auch heute noch in voller Lautstärke gehört. Das Album – auch bezeichnend – habe ich über die Jahre hinweg bestimmt fünf Mal nachgekauft, weil ich es immer wieder verschenkt habe, um Menschen von der Band zu überzeugen. TRUST US ist für mich D A S Motorpsycho-Album schlechthin, weil sie darauf alles miteinander verbinden, was die Band später an facettenreichen Entwicklungen noch weiter vollzogen hat. Viele werden sicherlich TIMOTHYS MONSTER als das prägenste Album empfinden. Dem ist aus meiner Sich nicht ganz zuzustimmen, weil dort die poppigen Elemente fehlen. Sie sind auf TRUST US schon zu erahnen und waren dann stilprägend für die beiden Nachfolgealben LET THEM EAT CAKE und PHANEROTHYME. Paradoxerweise – und das spricht Bände – fühlte ich mich beim 2017er Album THE TOWER an vielen Stellen wieder in die TRUST US – Phase zurückversetzt. Hört in diesen wahnsinnigen Zeiten mal in die TRUST US rein – es wird sich lohnen.