Im Sommer des Jahres 1985 entscheidet die bayerische Produktionsfirma „Olga Film“ mit Erlaubnis ihres Auftraggebers dem ZDF, den zweiten Film der damals dreißigjährigen Regisseurin Doris Dörrie, nicht Montagsabends im Nachtprogramm der Mainzer, sondern in den deutschen Kinos auszuwerten. Eine folgenschwere Entscheidung. „MÄNNER“ startet am 19.12.1985 in den westdeutschen Kinos. Und spielt bei über 6 Millionen Besuchern um die 40 Millionen DM ein.
Für mich war der Film als 9-jähriger nicht besonders interessant. Meine Mutter MUSSTE mich am 22.12.1985 zur Nachmittags-Vorstellung des zeitgleich gestarteten „THE GOONIES“ fahren. Dieser lief in meiner Heimatstadt nur in einem Raucherkino, wo ich ihn mir dann alleine(!) angeschaut habe. Meine ADHS-optimierte Überzeugungskraft und die Sehnsucht meiner restlichen Familie, nach ein paar Stunden Ruhe, dürften mir dieses frühe und prägende Kino-Erlebnis verschafft haben.
Ob man das Werk von Pia Frankenberg, welches seit einigen Tagen in optimaler und restaurierter Qualität in einer Box der Filmgalerie 451 vorliegt, auch zum von Dörrie losgetretenen Beziehungskomödien-Boom zuordnen kann, verrate ich jetzt.
Pia Frankenberg ist die 1957 geborene Tochter eines Kosmetikunternehmers und einer Fernsehmoderatorin. Die Ehe der Eltern scheitert nach einem Jahr. Frankenberg wächst beim Vater in Rhöndorf auf, der wenige Tage nach ihrem 17. Geburtstag beim Absturz des Lufthansa Fluges 540 in Nairobi ums Leben kommt. Nach dem Abitur geht sie nach Hamburg und beginnt dort eine Schauspielausbildung. Mit einem Millionenerbe im Rücken, gründet sie 1979 die „Pia Frankenberg Musik- und Filmproduktion“. Nach einigen Produktionen wie Ulrike Ottingers Episodenfilm „FREAK ORLANDO“ mit Delphine Seyrig („JEANNE DIELMAN, 23 QUAI DU COMMERCE, 1080 BRUXELLES“), erscheint 1981 Frankenbergs Kurzfilm-Debüt „SEHNSUCHT NACH DEM GANZ ANDEREN“, auf den 1985 der zweite Kurzfilm „DER ANSCHLAG“ folgt.
Man kann schon sagen, dass die beiden Kurzfilme und der erste Langfilm „NICHTS NICHTS OHNE DICH“ zusammengehören, vielleicht sogar in einem eigenen Metaverse – im PIA FRANKENBERG METAVERSE spielen. Jedenfalls wirkt das Milieu der drei Filme wie eine Fiktion, die mit der Realität der 1980er BRD nicht viele Gemeinsamkeiten hat. Ab dem zweiten Film übernimmt Frankenberg auch selber jeweils die Hauptrolle. Die drei in schwarz/weiß gedrehten Filme sind eigentlich eher Ideensammlungen. „NICHTS NICHTS OHNE DICH“ wirkt wie ein später bundesrepublikanischer Nouvelle Vague Versuch, und ist, um es mal vorsichtig auszudrücken, nicht besonders plot-driven.
Beim ersten Film steht Jörg Schmidt-Reitwein an der Kamera. Der hat die „bodenständigen“ Filme von Werner Herzog, wie „WOYZECK“ und „NOSFERATU“ gemacht. In den Jahren um Herzogs ausufernden Größenwahn, hat Schmidt-Reitwein die Filme von Herbert Achternbusch fotografiert. Bei „DER ANSCHLAG“ und den das Gedicht von Erich Fried im Titel führenden „NICHTS NICHTS OHNE DICH“, hat Thomas Mauch die Kamera geführt . Und genau der hat 1982 – also genau in der Zeit mit Frankenberg – mit Herzog „FITZCARRALDO“ realisiert. Frankenberg hat damals mit den besten deutschen Kameraleuten gearbeitet.
Aber es ist nicht das einzige Department, das dafür gesorgt hat, dass gerade „NICHTS NICHTS OHNE DICH“ so gut aussieht. Auch das Kostümbild ist absolut zeitlos und geschmackssicher. Kann natürlich auch sein, dass das damalige Wahl-Hamburger Rich-Kid und seine Co-Darsteller und Cameos (u.a. Hark Bohm und Dieter Kosslick!!) einfach ihre private Jil Sander Garderobe beim Dreh weitergetragen haben. Denn eine gewisse Wohlstandverwahrlosung ist bei Pia Frankenberg definitiv diagnostizierbar, die ihren Höhepunkt anscheinend im Jahr 2009 erreicht. Damals lebt Frankenberg in Manhattan, Central Park West. Im Interview, dass sie zusammen mit ihrem damaligen Ehemann – dem Fotografen Elliott Erwitt – dem Spiegel gab, erzählt Frankenberg (geschmeichelt?) wie Bill Clinton ihr bei seiner Vereidigung, die der Gatte fotografieren durfte, an den Po fasste, um sich dann etwas später darüber zu empören, dass der Skandal mit Monica Lewinsky nach ihrem Erlebnis „dann eine Beleidigung“ war. Bei Obamas Amtsantritt gab es für das Ehepaar wohl auch Grund zu Spott, über „ganz schön viele Nerzmäntel in Washington“; damit waren „die Schwarzen“ gemeint, die sich „für ihren Präsidenten schick gemacht haben“. Zur Ehrenrettung Frankenbergs muss man aber sagen, dass die beiden letzten Zitate nicht von ihr, sondern vom Autor des wirklich furchtbaren Spiegel-Artikels stammen. Das war anscheinend vor knapp 15 Jahren der Stil eines humorvoll gemeinten Lifestyle-Textes. Der wirklich gute Humor von Frankenberg (oder ihre „Comtessa Gunilla bittet zu Tisch“ Attitüde) geht da etwas unter, z.B. wie sie explizit von ihrem Vermögen erzählt: „Ich habe mein Geld für was Ordentliches auf den Kopf gehauen, es war eine gute Zeit. Geld ist ja die Verantwortung, die man hat. Bei Filmen, Festen und gutem Essen war es gut aufgehoben.“
Für Frankenbergs zweiten Langfilm engagiert sie schließlich direkt den französischen Nouvelle Vague Kameramann Raoul Coutard, um dann absurderweise eben keinen jazzigen Ideen-Film zu realisieren. Bei „BRENNENDE BETTEN“ handelt es sich ganz klar um eine Beziehungskomödie. Aber so richtig auf einen Erfolg, kann Frankenberg damit auch nicht gehofft haben. Sonst hätte sie sich für den Film sicherlich nicht für den legendären, aber in der Rolle ihres romantischen Gegenparts, in der Theorie völlig fehlbesetzten (aber in Praxis genial gecasteten) englischen Sänger Ian Dury, in der Rolle ihres romantischen Gegenparts (!) entschieden und ihn teilweise auf Englisch gestaltet. Ihr wahrscheinlich teuerster Film, was aber glücklicherweise bei Frankenberg nicht bedeutet, dass wie in anderen deutschen Beziehungskomödien der Zeit, die Handlung in irgendwelchen Yuppie-Wohnungen und neoliberalen Milieus spielt. Trotzdem ist der Film für ihre Verhältnisse relativ konventionell geraten.
Die Anschaffung der Box lohnt sich schon alleine für Frankenbergs letzten Film „NIE WIEDER SCHLAFEN“. Der wirklich überwältigend schön von Judith Kaufmann („DAS KLASSENZIMMER“, „CORSAGE“ „DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT“) fotografierte, von Frankenberg diesmal nur hinter der Kamera, im Berliner Wende-Sommer 1991 realisierte Film, ist eine echte Entdeckung. Petra Frankenberg stellt das Narrativ wieder etwas in den Hintergrund. Dafür lässt sie ihren drei Protagonistinnen, der Stadt und ihrem Film den Raum zum Atmen. Und wenn man anschließend im Bonusmaterial erfährt, dass es Frankenberg bei ihrer Filmarbeit nie darum ging, etwas Allgemeingültiges zu schaffen, sondern dass sie mit ihren Filmen immer die Zeit einfangen wollte, in denen sie entstanden sind, dann wird man feststellen, dass ihr das mit ihrem Werk ziemlich gut gelungen ist.
Inhaltsangabe:
Enthält die Filme Nicht nichts ohne Dich, Brennende Betten und Nie wieder schlafen.
Regie: Pia Frankenberg
Darsteller: Pia Frankenberg, Ian Dury, Lisa Kreuzer, Gaby Herz, Christiane Carstens, Klaus Bueb
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Technische Spezifikationen:
Sprache: Deutsch DD 2.0
Bildformat: 16:9
Untertitel: Englisch, Französisch
Laufzeit: 307 Minuten
Bonusmaterial:
– Booklet
Insgesamt ca. 82 Min. Bonusmaterial:
– SEHNSUCHT NACH DEM GANZ ANDEREN (D 1981, Kurzfilm, 13 Min., s/w, Regie: Pia Frankenberg, Mit: Elisabeth Stepanek)
– DER ANSCHLAG (D 1984, Kurzfilm, 9 Min., s/w, Regie: Pia Frankenberg, Mit: Pia Frankenberg, Klaus Bueb)
– Drehort-Tour mit Pia Frankenberg
– Original-Kinotrailer
Anzahl Discs: 3
Genre: Komödie
Barcode: 9783946274452
Die Box gibt es hier.
Fotos: Filmgalerie 451