Mit Nationalheiligtümern tun sich die Deutschen, anders als beispielweise Franzosen und Italiener, irgendwie sehr schwer. Nimmt man mal die Schlagerheinis aus dem Game, gab es in Deutschland drei Solokünstler, drei alte weiße Männer, mit denen man eine nationale Stadiontournee veranstalten konnte: Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer und Marius Müller-Westernhagen. Auf Lindenberg können sich wahrscheinlich die meisten einigen. Seine letzten Shows liegen über zwei Jahre zurück. Seine letzte neue Musik erschien vor 8 Jahren. Lindenbergs zweite Karriere, nach Jahren der Bedeutungslosigkeit (von Anfang der 1980er bis Ende der 2000er Jahre – KEIN WITZ!!!), ist mit einer soliden Comeback-Platte und der anschließenden Auswertung des Comebacks durch die teuerste MTV-Unplugged Produktion aller Zeiten (das dazugehörige Album ist eins der bestverkauften Alben in Deutschland seit 1975) begründet. Den größten Anteil an Lindenbergs zweitem Frühling hat mit Sicherheit Stuckrad-Barre mit seinem Buch “Panikherz” und der anschließenden medialen Rezeption.
Grönemeyer hat von den dreien seine Kunst am erfolgreichsten modernisiert. Die PR-Arbeit zu seinem letzten Album “Das ist los” war, um es mal vorsichtig auszudrücken, ambitioniert. Für eine Nummer 1 hat es dann leider nicht gereicht. Gegen DEPECHE MODE musste er sich leicht geschlagen geben. An dem Freitag war die Stimmung im Berliner Büro der eigenen Plattenfirma Grönland, so war es zu hören, nicht besonders gut.
Seine Fehde mit Westernhagen, dem Dritten im Bunde, und einzigen richtigen deutschen Stadionact (zumindest in der Hochphase) ist legendär und gipfelte in dem Streit um die Frage, wer von beiden beim Anti-Rassismus Benefiz-Konzert “Heute die! Morgen Du!” 1993 in Frankfurt zuerst auftreten musste. Der Grund für den Beef: Angeblich zeigte sich Westernhagen in der Vergangenheit undankbar gegenüber Grönemeyer, dessen PR-Agentur sich auch mal mit Westernhagen beschäftigte. Das Plakatieren eines Slogans – so was wie “Deutschlands größter Rockstar” – gefiel dem sich gerne bodenständig gerierenden Grönemeyer anscheinend nicht so gut. Den wahren Grund für die Eiszeit kennen wahrscheinlich nur drei Menschen. Der eine spricht von Undankbarkeit, der andere gibt sich ahnungslos. Und die Dritte kann nicht mehr befragt werden.
Mit all dem Gedöns wie Modernisierungen, Stadionkonzerten und Relevanzverlusten hat Marius-Müller Westernhagen heute überhaupt nichts mehr am Hut. Nach einer Dekade der Omnipräsenz (einmal die ganzen 1990er Jahre) backt der Düsseldorfer Rock ‘n’ Roller seit 20 Jahren inzwischen deutlich kleinere Brötchen. Am Ego hat sich nicht viel geändert. Die Musik der Erfolgsphase wurde von der Dorfdeppen-Fraktion annektiert und gilt als uncool. Das Frühwerk wird immer noch kultisch verehrt, gerade in urbanen Milieus. Von Leuten, die Olli Schulz, Kettcar und Fußball mögen. Die ersten Fans aus den frühen Jahren, also die Assi-Fraktion, die Marius, den Spinner von “Sekt oder Selters” für bare Münze gehalten haben, fühlten sich vom späteren „Armani-Rocker“ geradezu verraten. Dass es sich nur um Vermarktungsversuche der Plattenfirma, nach dem Kinoerfolg mit dem Theo-Film gehalten hat, schien viele zu überfordern. Grönemeyer versuchte am Anfang seiner Karriere mit der “Currywurst” übrigens dieselbe Schiene zu fahren.
Den Kipppunkt in der Karriere Westernhagens, stellt mit Sicherheit das 2002er Album “In den Wahnsinn” dar. Trotz über 450.000 verkaufter Einheiten, ist es im Erscheinungsjahr in der medialen Rezeption als gigantischer Flop wahrgenommen worden. Dabei ist es Westernhagens beste Veröffentlichung nach “Halleluja”, seinem besten Studioalbum. Er selber würde dies wahrscheinlich von “Harrisburg” sagen. Nichts als Missverständnisse. Einigen wir uns auf die Karrierephasen “Darsteller (1975 – 1984)”, “Rockstar” (1986 – 1999) und “Cosmopolit mit angenehmem Dachschaden“ (bis heute). Und auch mit über 70 Jahren bleibt Marius doch eigentlich immer der Düsseldorfer Schauspielersohn, der keine leichte Kindheit hatte und allen gefallen will.
Wenn man das durchwachsene Werk von Westernhagen nicht kennt, und nur drei Platten hören darf, empfehle ich sein bestes Album: die Liveplatte von 1990. Ein Künstler auf dem künstlerischen Karrierehöhepunkt, der jedoch denkt, dass es jetzt erst los geht (was ja finanziell auch stimmte). Dann das bereits erwähnte Pseudoflop-Album “In den Wahnsinn”. Und als Geheimtipp eine ebenfalls gefloppte Platte: das 1984er Werk “Die Sonne so rot”. Eingespielt mit dem 2014 verstorbenen Trio Gitarristen Kralle Krawinkel.
Eigentlich würde ich auch noch gerne darüber berichten, wie Westernhagen eigentlich Grönemeyers Part beim Petersen Film “Das Boot” bekommen sollte (aber den von Prochnow wollte) und zu schüchtern war, um die Einladung zum Casting für “Schindlers Liste” (!) anzunehmen. Aber das kommt dann vielleicht im Nachbericht zum Konzert am 30. August in der Freilichtbühne Loreley.
Tickets gibt es hier.
Und eine Playlist für die einzig wahren Marius-Fans: die Assis. Prost!
Foto: Olaf Heine