ANNIE CLARK alias ST. VINCENT gastiert am Dienstag in der Kölner Live Music Hall. Anlass: das aktuelle Album „All Born Screaming“, erschienen im April 2024 bei Virgin Records – von CLARK erstmals vollständig allein produziert. Elf Tracks zwischen Industrial-Ausbruch und zarter Synth-Ballade, zwischen ARTPOP, Rock und Post-Glam. „Post-plague pop“, nennt sie es selbst. PITCHFORK vergab knapp 8 Punkte. Die Kritiker:innen dort loben den Hybrid aus Verletzlichkeit und Kontrollmacht, nennen Songs wie „Flea“ und „Broken Man“ „abrasiv und doch eingängig“. „Broken Man“ gewann im Februar 2025 den Grammy für den besten Rocksong, „Flea“ wurde als beste Alternative Music Performance ausgezeichnet.
Der US-ROLLING STONE listete CLARK zuletzt auf Platz 26 der besten Gitarrist:innen aller Zeiten. Ihr Stil: präzise, unorthodox, effektgesteuert. Live durchbricht sie regelmäßig die vierte Wand. Bei Jimmy Kimmel Live! sprintete sie jüngst durch die Reihen, küsste Fremde, ließ die Bühne implodieren. Auch beim PITCHFORK FESTIVAL 2024 wurde klar: Nähe ist keine Geste, sondern Konzept. Körperkontakt als Teil des Arrangements, Blickkontakt als Bühnenlicht.
„All Born Screaming“ steht in Kontrast zu früheren Konzeptwerken wie „Masseduction“ (2017) oder „Daddy’s Home“ (2021). Statt Antonoff-Glanz oder Retro-Sounds gibt’s jetzt DIY-Realismus: DAVE GROHL und JOSH FREESE am Schlagzeug, CATE LE BON als Gast – doch klanglich dominiert allein CLARK. Ihre Gitarrenlinien sind wieder schroffer geworden, die Songstrukturen unberechenbarer. Zwischen Synthpop und Noise schleichen sich fragile Balladen wie „So Many Planets“ – live meist ein Höhepunkt, wenn CLARK ohne Gitarre ganz vorn steht.
Support kommt von GUSTAF aus New York. Die Band um Lydia Gammill liefert hektischen Sprechgesangspunk mit Referenzen an ESG, BODEGA und TALKING HEADS. Auf dem Haldern Pop 2022 funktionierte das für Betrunkene hervorragend. In kleinerem Rahmen – etwa beim letzten Köln-Support-Gig – wirkte das Ganze schnell ermüdend: viel Gimmick, wenig Variation, One-Trick-Pony-Verdacht. Für 30 Minuten schon fast etwas boring. Danach will man ST. VINCENT.
Die Show in Köln ist Teil der All Born Screaming Tour, mit der ST. VINCENT derzeit ausgewählte europäische Clubs bespielt. Der Fokus liegt klar auf dem neuen Material. Klassiker wie „Digital Witness“ oder „Los Ageless“ tauchen nur vereinzelt auf – und meist in stark verfremdeten Versionen. Vieles ist langsamer, kälter, entschlackter als auf Platte. Gespielt wird ohne Overhead, ohne große Erzählbögen. Kein Bühnenbild, keine Kostümwechsel. Stattdessen: Licht, Körper, Lautstärke.
Wer kommt, sollte wissen, was ihn erwartet: eine Künstlerin, die nichts mehr beweisen muss – und genau das spürbar macht.
Tickets gibt es hier.







