Am 18. Juni spielt Morrissey im Kölner Palladium. Das fühlt sich an wie ein Besuch bei einem alten Freund, der einem früher das Leben gerettet hat – und der inzwischen Dinge sagt, für die man ihn eigentlich nicht mehr ins eigene Wohnzimmer einladen würde. Man schwankt zwischen Nostalgie und Fremdscham, zwischen Zuneigung, Zorn und dieser einen Frage, die nicht weggeht: Darf man das noch gut finden? Wer Morrissey 2025 live sieht, muss mit Widersprüchen klarkommen. War aber vielleicht auch nie anders.
Ein Album, das keiner hören darf
Im Zentrum der aktuellen Tour steht ein Album, das es offiziell gar nicht gibt: „Bonfire of Teenagers“. Angesagt, aufgenommen, beworben – und dann von Capitol Records stillschweigend beerdigt. Morrissey sagt, das Label habe es „gehostet, aber nie veröffentlicht“ – als hätte man es bloß ins digitale Niemandsland abgeschoben, um es dort verstauben zu lassen. Seine Vorwürfe: politische Feigheit, moralische Schieflage, kalkulierte Vermeidung. Besonders der Titelsong – eine düstere Reaktion auf das Manchester-Arena-Attentat – galt als zu riskant, zu direkt, zu schwer vermarktbar.
Doch es geht nicht nur um ein Album. Es geht um Morrisseys tiefes Misstrauen gegenüber Institutionen, Mainstream-Medien, Plattenfirmen, politischen Bewegungen – und manchmal auch: der eigenen Fanbase. Wer ihn liebt, darf nicht zu genau hinsehen. Wer ihn hasst, fühlt sich bestätigt.
Der Mann, der sich selbst zerstört
Seit „You Are the Quarry“ (2004) steht Morrissey auf der Bühne wie ein Überlebender, der seinen eigenen Mythos ausverkauft. Songs wie „Irish Blood, English Heart“, „I Have Forgiven Jesus“ oder „I’m Not a Man“ sind dramatische Selbstverortungen in einer Welt, die ihn nicht mehr will. Der Ton ist anklagend, oft verletzt, immer moralisch. Doch das Moralisieren kippte in den letzten Jahren zunehmend in Provokation.
Morrissey erklärte, dass er die rechtsextreme Partei For Britain unterstütze – eine Splitterpartei mit rassistischen, islamfeindlichen und neoliberalen Programmpunkten. Eine Art UK-AfD, nur offener in ihrer Verachtung. Parteigründerin Anne Marie Waters beschrieb Islam als „die größte Bedrohung für unsere Gesellschaft“. Morrissey sagte, sie sei „mutig“ und „die einzige Hoffnung für Britannien“.
Die Reaktionen waren heftig. Radiosender entfernten seine Songs, Fans wandten sich ab, Journalisten riefen zum Boykott auf. Doch die Frage bleibt: War das überraschend?
War er nicht immer so?
Wer Morrissey genau studiert hat – durch seine Texte, Interviews und seine Autobiografie – weiß, dass der Mann nie angepasst war. Schon in den 1980ern hasste er Margaret Thatcher mit der gleichen Inbrunst, wie er heute den Wokismus ablehnt. Er war Klassenkämpfer und Feingeist, Tierethiker und Snob. Später schlug diese Haltung immer häufiger um in Weltverachtung. Hitler hält er übrigens auch für einen Linken. Da schlägt der Spinner-Detektor bis zum Anschlag aus.
Seine Abneigung gegen Massengeschmack, Tourismus, Globalisierung, Mode, moderne Männlichkeit, kulturelle Homogenisierung – all das war schon in „Maladjusted“, „You Have Killed Me“ oder „The World Is Full of Crashing Bores“ angelegt.
Der Widerspruch: Morrissey singt von Verletzlichkeit und handelt mitunter wie ein autoritärer Online-Kommentator. Seine Bewunderung für Ayn Rand – die amerikanische Schutzpatronin des libertären Kapitalismus – ist nie explizit, aber die Denkfiguren sind da: Selbstbehauptung gegen das Kollektiv, Verachtung für „die Schwachen“, das Gefühl, dass die Welt einem Genie etwas schuldet.
Die Fanbase fremdelt – aber zögerlich
Viele Fans reagieren mit innerer Zerrissenheit. Sie hassen die Aussagen – und lieben die Songs. Das geht seit Jahren so. Auf Reddit und in Kommentarspalten liest man von Boykott, und doch sind die Konzerte gut besucht. Das Palladium in Köln wird nicht leer sein. Morrissey ist ein Künstler, den man eher verschweigt als verlässt.
Hinzu kommen seine notorischen Konzertabbrüche. In den letzten Jahren wurde er zur Diva des ungehaltenen Abgangs. Shows wurden spontan abgesagt, unterbrochen oder abgebrochen – wegen Erkältungen, schlechtem Ton, zu lauter Security, oder weil das Publikum angeblich zu wenig reagierte. Köln 2025 ist also nicht nur ideologisch riskant, sondern auch organisatorisch ein Spiel mit dem Feuer.
Was die Setlist verrät
Ein Blick auf die aktuellen Setlists zeigt: Morrissey umkreist immer noch sein späteres Werk. Songs wie „I Wish You Lonely“, „Life Is a Pigsty“ und „Sure Enough, the Telephone Rings“ bilden das Rückgrat – ergänzt durch einige Smiths-Klassiker: „How Soon Is Now?“, „I Know It’s Over“, „Shoplifters of the World Unite“.
Doch auffällig ist: Er singt auch „Bonfire of Teenagers“, obwohl das Album nicht erschienen ist. Als würde er sagen: Ich brauche kein Label. Seine Setlist ist kein Greatest-Hits-Sprint – sondern eine wütende, elegische Erzählung über Verlorenheit, Trotz und das Gefühl, nie gehört worden zu sein.
Tierrechte, Pathos und Rechthaberei
2024 erhielt Morrissey den Social Vanguard Award für sein Lebenswerk im Einsatz für Tierrechte. Ein Thema, bei dem man ihm kaum Inkonsequenz vorwerfen kann. Bereits „Meat Is Murder“ war kein metaphorisches Statement, sondern eine militante Ansage. Seine Bühnenauftritte mit Schlachthaus-Videos, sein Boykott gegen venues mit Fleischverkauf – das alles zieht sich seit Jahrzehnten durch.
Doch auch hier zeigt sich: Morrissey bleibt nicht bei Empathie, sondern driftet oft ins Moralisieren. Wer Fleisch isst, ist „ein Mörder“. Wer ihn kritisiert, „ein Heuchler“. Wer seine Songs nicht mehr spielen will, „Teil des Problems“.
Ein Künstler gegen die Welt – oder gegen sich selbst?
Was bleibt also von diesem Mann? Ein brillanter Texter? Ein reaktionärer Grantler? Ein Tierfreund mit Tunnelblick? Ein Prophet, der keiner sein will? Oder einfach ein alter Mann, der nicht mit ansehen kann, wie sich die Welt verändert?
Vielleicht ist Morrissey alles davon – und genau das macht ihn so schwer zu ertragen wie faszinierend. Sein Zorn ist oft unproduktiv, seine Aussagen sind verletzend. Aber seine Songs öffnen Räume, in denen Einsamkeit, Scham, Identität und Trotz zu etwas Schönem verschmelzen.
Köln als Prüfstein
Wer am Mittwoch ins Palladium geht, geht also zu keinem gewöhnlichen Konzert. Man geht zu jemandem, der aneckt, abschreckt, aber auch berührt.
Ob man das unterstützen darf? Vielleicht nicht. Aber man kann ja verkleidet und heimlich hingehen. Ich werde nichts verraten.
Für alle, die hingehen, gilt, wie Morrissey in einer besseren Phase einmal sang, vielleicht heute mehr denn je:
„There is a place for me and my friends / and when we go, we all will go / so beautifully.“
Foto: Ryan Lowry