Das Bootboohook Festival in seiner fünften Ausgabe – dem Jubiläum – ist seit Sonntagabend vorbei. Viel zu schnell ist die Zeit an nur einem Wochenende vorbeigehuscht, nun heißt es wieder ein Jahr warten, bis Hannover sich erneut als Gastgeber gutgelaunter Indierock/-pop-Musikliebhaber präsentiert. Abwarten ist angesagt – auch darüber, wie das Line-Up im nächsten Jahr aufgebaut ist und darüber, ob weitere Veränderungen folgen. An dieser Stelle nun mehr als eine kleine Randnotiz, sondern ein gesammelter Eindruck und eine ausführliche Schilderung des zweiten Festivaltages.
Es ist Samstag und der Tag beginnt so, wie es sich ein Festivalkomitee nur wünschen kann: Mit gutem Wetter. Die Regen verkündenden Wolken sind zwar da, aber weit genug weg, um das Festivalareal zu verschonen – die Boots dürfen demnach zu Hause bleiben. Was dennoch nicht ausbleiben darf, sind die Besucher des Festivals. Die großen Besucheranströme bleiben um 13:00 Uhr beim Einlass leider noch aus, auch später zum Programmstart ist noch keine Verbesserung in Sicht. Allerdings sind gefühlt auch wirklich alle Anwesenden bei French Films vor der Bühne vertreten, um gemeinsam ihnen abzurocken. Bereits zum frühen Nachmittag ist die Stimmung mehr als nur gut, es wird bereits zu dieser Zeit getanzt, gesprungen und gelacht. Fraglich nur, warum Jens Friebe samt Band, die an diesem Tag leider nur als Duo angereist sind, als nächster Act weit weniger Besucher anzieht. Liegt es an dem Genre oder doch am Bekanntheitsstatus? Fragen, die an dieser Stelle nicht geklärt werden können. Fakt ist, dass Jens Friebe in Person in jedem Fall die versammelten Besucher unterhält. Dieser gewinnt mit viel geistreichem Witz z.B. über Rauschzustände chemikalischer Drogen und wie man die Töne als Musiker zu schmecken lernt, die Zuschauer für sich. Seine Musik ist deutsche Popmusik, mit leicht theatralischen Texten als Grundlage.
The Hundred In The Hands werden im Anschluss nicht gerade pompös angekündigt. Es folgt lediglich der Hinweis, dass diese nun ihren letzten Auftritt auf einem Festival geben. Was soll man anderes sagen: gewohnt gut, eingespielt, gekonnt halt. Kein Wunder bei einer Ansammlung von 16 Festivals allein in diesem Sommer. Allerdings fällt auf, dass versucht wird, die Promoschiene ihres neuen Albums mächtig anzukurbeln, indem viele Songs von ihrem derzeitigen Album RED NIGHT gespielt und bewusst beim Namen genannt werden. Tarwater sind als nächster Act auf der Tent Stage. Man staunt nicht schlecht über die versammelten Besucher, die Riege an 70er- Jahrgängen ist dort deutlich vertreten. Bernd Jestrams und Ronald Lippok selbst sind auch nicht diejenigen, die unbedingt 16-Jähige Teenies ansprechen, ihre Musik ist experimentell bis extraordinär, wenn es darum geht, unterschiedliche Soundimpulsive und komplexe Strukturen in deren Musik mit einwirken zu lassen. Auf weitaus mehr Krawall sind Orph gebürstet, eine noch recht junge Band aus dem schönen Weimar, wie diese selbst betonen. Eine Künstlerstadt, die schon viel Bekanntes hervorgebracht hat. Umso kreativer ist auch Ihr Bühnenoutfit gewählt. Die Zirkusdirektorkluft ist ideal für die Faust-Sage, die in dem Interieur eines Zirkuszeltes aufgebaut ist. Rockige Girarrenriffs, viel Bass und vor allem Leidenschaft im Gesang bietet Marco de Haunt auf den Songs ihrer EP an, die auf den herrlich-kuriosen Namen POEMS FOR KUI hört. Reine Applausorchester empfangen hingegen Fehlfarben. Stimmungsgranate, Parteivorsitzender seiner Band mit deutlichem Redeanteil, Songwriter und Querulant in einem ist deren Frontmann Peter Hein, der mit seiner Band vom versammelten Publikum hoch gehandelt wird, denn auch hier scheinen Fans erster Stunde anwesend zu sein. Fakt ist, dass Hein mit seinen Songs, die beinahe alle von ihrer neuen Platte XENOPHOBIE stammen, für mächtig Stimmung sorgt. „Wir sind scheiße, extrem scheiße, da wir nur neue Sachen spielen“, ist nur eine von vielen kecken Aussagen von Peter. Deutsches Punkrock-Kulturgut in seinen Grundzügen.
Gravenhurst ziehen ebenfalls ihr Publikum magisch an, wenn auch deutlich weniger. Nick Talbot aus Bristol scheint im Vorfeld schon seine feste Fanbase zu besitzen, denn viele kennen seine Texte. Sanfte Gitarrenakkustik mit schöner Singer-Songwriter-Gesangseinlage sorgt an diesem Tag für eine gemütliche Stimmung unter allen Anwesenden. Mit dem wunderbaren Song “Black Hole In The Sun“ beendet dieser seine Session. Me and My Drummer und We Have Band spielen fortan parallel. We Have Band wird vom Moderator als absoluter Topact angekündigt. Und genau das sind sie auch, denn die große Festivalbühne ist mittlerweile ihr Zuhause geworden. Routiniert, aber auf Spaß getrimmt ziehen die vier Engländer ihre Show durch. Könnte man ihnen positiv und negativ anrechnen, da man im Vorfeld schon weiß, was einen erwartet: Eine gute Show. Nur eines ist anders an diesem Tag – der Schlagzeuger von Micachu And The Shapes hilft an diesem Tag aus, da der hauseigene verhindert scheint, was allerdings auch nicht aufgefallen wäre. Wie schon eingangs wird auch hier wieder getanzt, gesprungen und gelacht. Ein richtiger Act zur richtigen Stunde.
Genauso wie auch Tocotronic und Reptile Youth. Diese sind organisatorisch perfekt in den Timetable integriert, demzufolge auch perfekt für das Festival. Tocotronic sind und bleiben die ewigen Vorreiter des deutschen Indierock. Deren frühen Musikanfängen ist es zu verdanken, dass diese sich längst einen Eintrag in der Musikgeschichte verdient haben. Umso besser, solch ein Aufgebot erneut, wie zuletzt vor zwei Jahren, auf diese Festivalbühne zu holen. Gefühlt alle Festivalgänger sind versammelt, um den Klängen von Dirk von Lowtzow und seiner Band zu lauschen und euphorisiert im Takt mitzuzappeln. Kein Wunder, wird doch auch an diesem Abend abermals aus dem vollen Repertoire von neun Studioalben und einer fast 20-jähriges Bandgeschichte geschöpft.
Es folgt, was folgen muss an jenem späten Abend: Rhythmus- und körperbetonte Eskalation, die pure Tanzlust hervorbringt. Verwirklicht durch Esben Valløe und Mads Damsgaard Kristiansen, die offensichtlich einem der nördlicheren Fleckchen Europas zuzuordnen sind. Die zwei Dänen, besser bekannt als Reptile Youth zeigen im wahrsten Sinne, wo der Hammer hängt und das obwohl bisher keines ihrer Songs offiziell veröffentlicht worden ist. Es kursieren allein sehr viele Videos von Ihnen im Netz, durch die man sich vorab einen Eindruck von ihrer Wucht auf der Bühne verschaffen kann. Kristiansen sucht wiederholt den Kontakt zum Publikum und stürzt sich regelrecht in die Massen hinein. Ein toller Auftritt, der unglaublich viel Energie und Freude bei allen Anwesenden hinterlassen haben muss.
Summa summarum hat das Festival durchaus Potential, seinen Bekanntheitsgrad zu erhöhen und in den nächsten Jahren weiter zu wachsen. Noch ist es mehr ein Insider, was auch in keinem Fall Schlechtes zu bedeuten hat, nur lassen die großen Besucherströme noch auf sich warten. Vielleicht ist aber auch nur das Gelände zu groß für die Anzahl an Besuchern gewählt. Organisatorisch lief alles rund, es gab keine großen Soundpatzer oder Überschneidungen. Jedoch sollte es Festivalbesuchern in Zukunft leichter gemacht werden, zum Festivalgelände zu gelangen. Viel zu weitläufig ist es zur S-Bahnhaltestelle, zum Campingplatz und bis zum Hautbahnhof. Ein wichtiger Faktor, wenn es um weit angereiste Besucher geht. Um auf die Größe zurückzukommen, bietet das Festivals auch einen entscheidenden Vorteil. Man kann seinen Act seiner Wahl unglaublich nahe kommen. Erste Reihe stehen ist kein Problem. Das Festival mit dem niedlichen Namen Bootboohook ist zu wünschen, dass dieses auch in den nächsten Jahren seinem Publikum erfolgreich deutsche als auch internationale Künstler näher bringen darf, die es allesamt verdienen von Musikliebhabern gehört zu werden. Und das wird vielleicht auch schon wieder im nächsten Jahr zutreffen, denn wie die Veranstalter selbst am besten verlauten lassen: „We Love To Bootboohook You“.
Einige Impressionen von dem Festival:
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Fotos vom Festival: Nadine W.