Einst 2004 gegründet, gelangte die kalifornische All-Girl-Band Warpaint zunächst zu einem gewissen Bekanntheitsgrad durch das Mitwirken von Drummerin und Schauspielerin Shannyn Sossamon (u.a. „Die Regeln Des Spiels“, „Ritter aus Leidenschaft“, „Kiss Kiss Bang Bang“), der Schwester von Bassistin Jenny Lee Lindberg. Mit ihr spielte man etliche Gigs in Los Angeles und schrieb die Songs für die Debüt-EP EXQUISITE CORPSE, die letztlich allerdings erst Ende 2008 aufgenommen werden sollte.
Während der unter der Ägide von Red Hot Chili Peppers-Gitarrist stattfindenden Aufnahmen verließ Madame Sossamon allerdings ihre drei Mitstreiterinnen, weshalb die EP mit verschiedenen, männlichen Gasttrommlern zu Ende aufgenommen wurde. Nichtsdestotrotz waren die Reaktionen recht überschwänglich, was sich nach dem Einstieg der aktuellen Drummerin Stella Mozgawa und dem 2010 erschienenen ersten Album THE FOOL noch deutlich steigerte. Die Girls trafen mit ihrem zwischen Dreampop, Indie, Postrock und Shoegaze angesiedelten Sound den Nerv des Zeitgeists recht gut und erste kleinere Charterfolge konnten verbucht werden.
Nun, etwas mehr als 4 Jahre später, erscheint endlich der zweite Longplayer WARPAINT. Das selbstbetitelte Werk entstand anscheinend erstmals als Ergebnis von gemeinsamen Band-Jams und mit dem Ziel, einen minimalistischeren, eigenen Sound zu (er-)finden, wie in mehreren Interviews vorab kolportiert wurde. Herausgekommen ist ein zwar etwas „sperrigeres“, aber nicht minder spannendes und starkes Werk, bei dem sich die Band einerseits lasziver und entrückt fragiler präsentiert, andererseits aber auch homogener, gereifter und sehr selbstbewußt.Weshalb „sperriger“? Nun, Warpaint waren auch zuvor nicht gerade berühmt dafür, eingängige Songs im Pop/Rock-Kontext zu schreiben – dennoch war der Zugang bei der Debüt-EP und THE FOOL deutlich leichter, gerade auch weil alles noch organischer und geerdeter wirkte. WARPAINT benötigt auf seine ambient-mäßigere, schwebend-entrückte und beschwörende Art einfach ein paar Durchläufe mehr, bis der ganz eigene Charme und die wirklich einzigartige Atmosphäre sich entfalten können und der resultierende, süchtig machende Sog den Hörer gefangen nimmt. Die ersten Songs nach dem mit wunderschönen Post-Gitarren auftrumpfenden Intro, „Keep It Healthy“ (mit dezentem The Cure-Touch) und die erste Single „Love Is To Die“ (ein kleiner Hit mit grandios melancholisch schönen Strophen und dem einzig offensichtlichen Chorus der gesamten Scheibe), machen es einem aber dennoch nicht allzu schwer, in die Platte reinzukommen. Zwar sind diese genauso anspruchsvoll arrangiert und weisen erste Jam-Ansätze auf, aber dennoch fallen sie im Gesamtkontext eher eingängiger auf. Danach wird das Werk aber zunehmend trippiger und entrückter, elektronische Spielereien kommen zum tragen und ein unverschämt beschwörender und grooviger Beat (durch Bass, Drums und Synths) rundet das verdrogt schöne Gesamtbild ab. Songs wie „Hi“ (mit leichtem Portishead/Sade-Gesangstouch), das fantastische „Biggy“ (als ob Sade und der „Nip/Tuck“-Titelsong „A Perfect Lie“ aufeinandertreffen würden) oder auch „Teese“ (leichter Hit-Ansatz), das einem lasziven Beschwörungsritual nahekommende „Disco//very“ (der Film „Hexenclub“ jemand noch ein Begriff) und das abschließende Dreampop-Juwel „Son“ sollten Fans der genannten Künstler, aber auch von Pixies, Joy Division, Miranda Sex Garden, Auf der Maur und ganz besonders Lush (Warpaints wunderbare Sängerin Emily Kokal und Lushs Ausnahmefrontfrau Miki Berenyi könnten stimmlich ebenfalls Schwestern sein) schnell in ihren Bann ziehen.
So bleibt ein wirklich außergewöhnliches, wunderbares und tiefgehendes Album, produziert von keinem geringeren als Mark „Flood“ Ellis (u.a. Nick Cave, PJ Harvey, Depeche Mode, U2, Sigur Rós, Smashing Pumpkins) und mit einem stimmigen Coverartwork von Videoregisseur Chris Cunningham, dem Ehemann von Basserin Jenny, auf das man sich zwingend eine ganze Weile intensiv einlassen muss, um letztlich mit einem jetzt schon zu den Highlights 2014 zu zählenden Meisterwerk mehr als gebührend belohnt zu werden.
Ohr D’Oeuvre: Keep It Healthy, Love Is To Die, Hi, Biggy
VÖ: 17.01.2014 Rough Trade Records/Beggars Group/Indigo
Tracklist:
01.Intro
02.Keep It Healthy
03.Love Is To Die
04.Hi
05.Biggy
06.Teese
07.Disco//very
08.Go In
09.Feeling Alright
10.CC
11.Drive
12.Son
Gesamteindruck: 9/10
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