Die charmantesten Ecken hat Köln dort, wo es unfertig und ein wenig abgeranzt ist. Das indie.cologne.fest 3 lädt an einen dieser Orte, ins Odonien, zwischen Gleisdreieck und Hochhauspuff. Man kann sich kaum einen besseren Ort denken, um einen warmen Sommerabend zu feiern.
Das Minifestival versammelte zum dritten Mal etablierte Bands und verheißungsvolle Newcomer aus der Gitarrenindie und Indieelektronika – Szene der Domstadt. Eine bunte und interessante Mischung, die einen Überblick über die aktuelle, musikalische Untergrundlandschaft geben sollte.
Tag 1 – Secret Vaccine, Die Sonne, Komplizen der Spielregeln, Illegale Farben und La More
Los geht es am Freitag in der Garage, in welcher Secret Vaccine aufspielen. Das Quartett genoss augenscheinlich seine musikalische Sozialisation in den 00er Jahren. Mit ihren britisch angehauchten Uptempo-Nummern zwischen Strokes und Libertines, kommen sie bei den leider noch nicht zahlreich erschienenen Besuchern gut an. Zum Glück tut dieser Umstand ihrer eigenen guten Laune keinen Abbruch und so spielen sie ihren Auftritt mit sichtlichem Spaß zu Ende. Ihr Enthusiasmus setzt einen ersten Farbpunkt an diesem Abend. Später werden Sie noch wild tanzend vor der Hauptbühne gesehen.
Anschließend betrat mit Die Sonne, die wohl kleinste Stadionband des Landes die Hauptbühne. Die Band um Ex-Wolke Sänger Oliver Minck und Gitarrist Boris Rogowski schreibt Lieder, die den Zuhörer durch ihre oberflächliche Einfachheit schnell abholen und durch ihre Melodien, die sich tiefer und tiefer in die Gehörgänge der Zuschauer brennen, nicht mehr los lassen wollen. Lieder wie die hymnischen „Für Alle“ oder „Wir sind“ scheinen die Zuhörer regelrecht zu umarmen und so sieht man die Ersten mitsingen und mit einem entrückten Grinsen der Band lauschen. Das es nicht zu pathetisch wird, liegt an dem lässigen Understatement, das die Fünf pflegen und an der Spiellust, die sie an den Tag legen. Die Stimme von Minck haucht den Songs eine angenehme Leichtigkeit und melancholische Abgeklärtheit ein, dass jeder für sich ein probates Hilfsmittel ist, die Unwägbarkeiten des Alltags mit einem Schulterzucken abzutun. Die Tanzübungen gegen Ende des Sets gehören dabei ganz klar zu den ersten sportlichen Höhepunkten des Abends.
Man schleppt seine Knochen wieder in die Garage, wo die Komplizen der Spielregeln ihren Minimal Wave dem Publikum darbieten. Die Band, deren Sound irgendwo zwischen Trio und den Türen zu verorten ist, wurde vorher bereits als Geheimtipp des Abend gehandelt. Entsprechend voll ist die Garage und entsprechend schweißtreibend wird der Auftritt. Obwohl die Songs relativ nüchtern, eher dunkel von der Stimmung sind und nicht ganz zu der sommerlichen Atmosphäre passen, überzeugt die Band ähnlich wie Die Sonne durch ihre Spielfreude. Ein Auftritt, der Lust auf mehr macht.
Wir wünschen von hier aus dem Schlagzeuger der Illegalen Farben gute Besserung und verneigen uns ehrfürchtig vor seiner Leistung an dem Abend. Fast eine Stunde treibt der Mann seine Bandkollegen und das Publikum mit seinem Uptempo Spiel vor sich her und schafft es, den Auftritt der Band nachhaltig zum bewegungsreichsten des Abends zu machen. Stehen die Zuhörer anfangs noch schüchtern im Hintergrund, endet der Auftritt mit (für Köln schon ungewöhnlich) vielen herum springenden Menschen und einem Sänger, der wie ein Derwisch durch die Tanzenden streift. Die Musik läßt sich schwer einordnen, irgendwie Post – Punk, irgendwie Wave, eben eine dieser neuen Punkbands, die nicht wirklich in das Korsett Punk passen wollen, weil sie dafür zu tanzbar sind. Dabei läßt die Entwicklung, welche die Band um Ex – Mitglieder von Genepool und Bazooka Zirkus genommen hat, nur staunen. Wirkten sie 2014 als Vorband von Love A eher noch auf der Suche nach ihrer musikalischen Heimat, kommen sie heute Abend tanzbar und selbstbewußt rüber. Man merkt dem Quartett die Routine und die gestiegene Sicherheit an, welche durch die vielen Konzerte und den Plattendeal in den letzten zwei Jahren zustande kam.
Mittlerweile selbst ein wenig abgeranzt, versucht man noch La More zu folgen. Synthiepop zwischen Stereo Total und Nouvelle Vague. Los geht es mit einem französich gesungen T. Rex Hit. Der Minimal Pop bleibt danach auch interessant, allerdings verhaspelt sich die Band ein wenig in der eigenen ironischen Darstellung einer Rockband, so dass der Konzertspass ein wenig auf der Strecke bleibt. Vorzeitig geht es in die Hängenden Gärten zu Aftershow Party.
Tag 2 – Anorak, REKK und Bugbear
Ein Teil der JMC Crew wird leider erst später am Abend in der Abstellkammer der Hängenden Gärten gefunden. Deshalb findet sich am zweiten Tag des indie.cologne.fest 3, nur eine Rumpftruppe ein. Heute sollen die Klänge etwas traditioneller in Richtung Punk und Folk gehen. Den Anfang machen Anorak auf der Bierzeltbühne. Leider hält sich die Besucheranzahl noch sehr in Grenzen. Davon lassen sich die Fünf um Sänger Philipp aber nicht abschrecken. Gewohnt energiegeladen und technisch perfekt zelebrieren sie ihren Post – Hardcore zwischen La Dispute und Touche Amore. Man merkt den detailreichen – größtenteils von ihrem kürzlich erschienenen Debütalbum ENTHUSIASTS AND COLLERCTORS stammenden– Songs an, dass die Band lange im Proberaum an den Arrangements gefeilt hat. Ihre Spielfreude beweist jedoch die Dringlichkeit, endlich damit auf die Bühne zu kommen. Dabei lassen sie sich auch nicht durch kleinere technische Pannen aus der Ruhe bringen. Wer braucht schon ein funktionierendes Mikrophon, wenn man ein Megaphon zur Hand hat? Ein Auftritt, der noch vorhandene Kräfte bei den Besuchern frei setzt.
Waltrop ist nicht gerade die musikalische Metropole Europas, hat mit REKK aber eine Band hervor gebracht, die schon gut herum gekommen und mehr als ein Geheimtipp ist. An diesem Abend haben Sie es mit ihrem wunderschönen Indiefolk jedoch schwer. Das liegt nicht an ihrem konzentrierten Vortrag, schreiben sie doch Melodien und Arrangements, für die selbst die Fleet Foxes getötet hätten. Auch die wunderbar kaputt, melancholische Stimme von Sänger Matti nimmt einen nach wenigen Minuten ein. Das Problem ist wohl eher, die geringe Anzahl an Publikum und der Kontrast zu dem energiegeladenen Vortrag von Anorak, der eventuell verhindert, dass die Zuschauer sich auf den Vortrag einlassen können. Ein schöner Auftritt, ähnlich wie der von Die Sonne am Vorabend, voll höchster Musikalität, der ihnen mehr als einen Höflichkeitsapplaus bringt. Freuen darf man sich auf die kommenden Clubkonzerte.
Der Höhepunkt dieses Tages sollte von unerwarteter Seite kommen. Bugbear erobern mit einer mitreißenden und schweißtreibenden Show die Herzen der Besucher im Sturm. Das Trio aus Köln überzeugt durch eine Mischung aus Descendents und Bad Religion, die man früher wohl Skate Punk genannt hätte. Der unprätentiöse und direkte Auftritt passt wunderbar in das Schrottplatzambiente von Odonien. Neben der Musik treibt vor allem die Reibeisenstimme des Sängers, Tränen in die Augen der Besucher. Das die musikalische Ausrichtung und die begeisternde Show kein Zufall sind, liegt darin begründet, dass 2/3 der Band früher bei den Neusser Emocorelern von Nothing in Common gespielt haben. Lokale Helden, die unverdientermaßen nicht die Aufmerksamkeit bekommen haben, die ihnen zustand. Band und Publikum genießen sichtlich den Auftritt, trotz dieser vergangenen Ungerechtigkeiten. Später am Abend wird man den Bassisten immer noch glücklich grinsend in der Stadt treffen. Dies geht vielen Besuchern auch so. Leider musste danach das Weite gesucht werden. Trotzdem sind diese zwei Tage in Odonien eine helle Freude gewesen und machen Appetit auf den Konzertherbst und – winter in Köln. Unterstreichen kann man, geht zu den lokalen Bands, das ist viel, viel verstecktes Gold.