Das dritte Album ist immer das schwerste, nein, das zweite – ach egal! Warum egal? Weil Fortuna Ehrenfeld relativ scheißegal zu sein scheint, welche Floskeln sich die Musikjournalie einfallen lässt, um die Zeilen einer Plattenbesprechung voll zu bekommen. Den Eindruck gewinnt man recht schnell, wenn man sich HELM AB ZUM GEBET, das DRITTE Album der Kölner um Martin Bechler, anhört. Gab es kurzzeitig Bedenken, die zum Trio angewachsene Band scheitert an der Erwartungshaltung der vielen Fans, die Fortuna Ehrenfeld durch ihre Omnipräsenz in ihre poshen Herzen geschlossen haben, werden diese Bedenken aber sowas von sofort weggeblasen.
Bei Bechler scheint der Erfolg der Band nicht zu einer Blockade zu führen, sondern er zeigt dem Druck den mittleren Finger der Bärentatze und schüttet erneut so viele tätowierfähige Textzeilen aus dem Ärmel, dass man sich als geneigter Hörer fragt, welche Synapsenkirmes in seinem Kopf Frühlingsfest feiert. Dabei tut es der Platte ausgesprochen gut, dass sie als Fullband Album, zusammen mit Jenny Thiele am Keyboard, Synthie und Mikrofon und Paul Weißert am Schlagzeug, entstanden ist. Gerade musikalisch wirkt sie ausgereifter als der Vorgänger Hey Sexy, ohne jedoch auf die vielen weirden und dadaistischen Ausflüge zu verzichten. Wobei es schon mutig ist, die Tracklist so zu wählen, wie die drei Kölner es getan haben. Mit „Heiliges Fernweh“ und „Hör endlich auf zu jammern“ startet die Platte mit zwei Stücken, die sicherlich zu den eher schwer zugänglichen des Albums gehören. HELM AB ZUM GEBET ist ein Album, das nicht mit der Tür ins Haus fällt, sondern erschlossen werden will. Es stapft nicht auf direktem Weg mit Stilettos in das Herz des Hörers, sondern gehört eher in die Kategorie „Grower“.
Spätestens mit dem dritten Song, „Helm ab zum Gebet“ stellt sich auch für diejenigen, die Fortuna Ehrenfeld wegen ihres Ausnahmetalents, wunderschöne, melancholische Alltagshymnen fernab von Giesinger und Co zu schreiben, das wohlige Gefühl ein, das in den letzten Jahren nur Bechler mit seinen Songs zu erzeugen vermochte. Ein Paradebeispiel, wie deutschsprachige Musik völlig unpeinlich funktioniert, zeigt Fortuna Ehrenfeld dann beim nächsten Song „Bad Hair Day“. Ein Song, dessen Text mehr Potenzial für lebensbegleitende Weisheiten hat als alle Popakademiegemeinheiten der letzten Jahre zusammen. Textzeilen wie: „Wir sprechen immer nur von Metropolen und bügeln uns durch die banale Provinz, wenn die Frösche immer alle nur tanzen woll´n, bumst halt keiner mehr den albernen Prinz“ lassen einen schmunzeln und gleichzeitig will man in guter alter Punkmanier die Faust gen Himmel recken und lauthals mitsingen.
„Guten Morgen, Ehrenfeld!“ ist eine Hommage, die keine sein will. An ein Veedel, das Bechler als „Stück Scheiße“ bezeichnet, in dem Wissen, dass von dem einst subkulturell geprägten Ehrenfeld nicht mehr viel übrig ist als ein durchgentrifiziertes Sammelbecken von Helikoptereltern, Cupcake Boutiquen und webdesignenden Altpunkern. Ein großartig angenehmer Gegenentwurf zwischen all den selbstbesoffenen Lobliedern über die angeblich schönste, lustigste und sowieso in allen Belangen tollste Stadt des Universums.
Bei allem Dadaismus und vordergründigem Wahnsinn wirkt HELM AB ZUM GEBET ernsthafter als der Vorgänger HEY SEXY. Der Flow leidet ein wenig unter der Tracklist, was der Qualität der einzelnen Stücke jedoch keinen Abbruch tut. Selten waren Fortuna Ehrenfeld eindringlicher als im Lied „Umarmung der Magneten“, bei dem kein Geringerer als der wundervolle Enno Bunger einen Part eingesungen hat. Lange hat man keine Platte mehr gehört, die auf Albumlänge ein derart gutes Gleichgewicht zwischen weirden Synthie-Stampfern und liebevoll traurigen Alltagshymnen vereint, wie es auf HELM AB ZUM GEBET der Fall ist. Ein kleines Meisterwerk, das seine Stärken vor allem live entfalten wird, wie das Record Release Kopfhörer OpenAir in Köln eindrucksvoll bewiesen hat.
VÖ: 03. Mai.2019, Grand Hotel van Cleef, http://antispecht.de/fortuna/
Ohr d’Oeuvre: Bad Hair Day/ Guten Morgen, Ehrenfeld/ Umarmung der Magneten
Gesamteindruck: 9/10
Tracklist: Heiliges Fernweh/ Hör endlich auf zu jammern/ Helm ab zum Gebet/ Bad Hair Day/ Das ist Punk, das raffst du nie/ Guten Morgen, Ehrenfeld!/ Der Ablativ von BUMM/ Sanktpankpaul/ Tequila/ Salzblusenkreuz/ Die Umarmung der Magneten (mit Enno Bunger)/ Die Welt in Teile/ Herbstmeister der Herzen